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Kultur: Heilige und Krieger

Rayk Goetzes kolossale Ausstellung „Universum Zwo“ im Kunstraum

Stand:

Sie zuerst: Diese Madonna trägt eine rote Trainingsjacke, ist sonst in ein tiefblaues Tuch gehüllt, der Gürtel ist vielleicht gülden. Ihre offenen Hände weisen auf den Betrachter hin, was sowohl leere Hände als auch offene Arme bedeuten kann. Jemand, unterhalb ihrer, ahmt diese Geste nach, aber das gelingt nicht so gut. Ihr Gesicht ist ernst, aber nicht zu streng. Kein Heiligenschein, kein Hinweis auf das unbeschreibliche Flair einer Ikone.

Der mehr als marode Hintergrund und die sonstige Personage dieses eindringlichen Bildes lassen keinen Zweifel, welche Zeit Maler Rayk Goetze hier meint. Dabei ist er, nach eigener Aussage, gar nicht religiös. Er würde es auch ablehnen, der für die Galerie Kunstraum konzipierten Ausstellung „Universum Zwo“ einen apokalyptischen Unterton zuzubilligen. Schreibt man das Wort Universum in einem Neunerquadrat untereinander, ergibt sich die Sequenz „Sei neu“. Kein Schalk, wer da an die Renaissance denkt, bei deren Meistern Rayk Goetze das Handwerk des Malens, besonders die Porträtkunst und den Faltenwurf, erlernte. Die Themen seiner ausdrucksstarken und meist großformatigen Malerei bezieht er natürlich aus der Gegenwart menschlichen Daseins, die er meist figürlich und gegenständlich erfasst. Wie sich der gebürtige Stralsunder bereits in früheren Jahren an Madonnen-Darstellungen versucht hat, so ist diese durchdachte und fast kolossale Ausstellung in der Schiffbauergasse ganz auf die Idee von Potsdam zugeschnitten, schließlich lebte und arbeitete er eine Zeit lang hier. Fast wie im Märchen: Vor sieben Jahren brach er auf, um bei Arno Rink, Neo Rauch und anderen in die Leipziger Schule zu gehen, nach sieben Jahren ist er wieder da.

Preußen, genauer der Geist vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, beherrscht diese Schau. Endlich mal nicht der kleine, knöchrige Friedrich II. späterer Tage – obwohl Goetzes Idee vom „Quellcode Krieger und Heilige“ auch auf ihn gepasst hätte. Der Große Kurfürst als historische Figur und als Zeitgenosse der Heutigen in einer Person: Gleich rechts neben dem Eingang lümmelt er in heutigem Stöffchen vor einem Nobelschlitten „Preußisch Blau“ in der Landschaft. Im Gang nach links entdeckt man eine ganze Porträtreihe, kleine Formate, wo er Narr, Rennfahrer und auch Prinz Amourosus sein darf. Auch ein Halsbekrauster ist dabei mit dem Gesicht eines Potsdamer Modeschöpfers. Porträts des Kurfürsten als junger Mann gibt es überhaupt viele im „Universum Zwo“. Wer da hineingerät, kann nicht stillestehn, weder Friedrich Wilhelm noch Rayk Goetze. Und auch der Galeriegast wird hier sofort herumgewirbelt, wie es einem Universum halt ziemt.

„Mit Reichtum ist zu rechnen“, umschreibt der Künstler sein „Universum Zwo“. Er hat es, zusammen mit dem neuen Kurator Mike Gessner, in den Kunstraum hineininszeniert. Auf den ersten Blick scheinen nicht alle Bilder diesem Thema zugehörig, große und kleine Formate, figurative und leicht abstrakte, nichtgegenständliche und die ganze Motivfülle sonst. Der Raum führt alle zusammen, weil sie aus einem Gedanken kommen, aus einer Idee, und da lässt sich des Betrachters Hirn in seinem Zuordnungsdrang schon mal überwinden. Der Blick vom Entree an der Treppe vorbei bis hin in die Ferne der imaginären Landschaft im Hauptraum, wo linkerhand auch die Madonna offene Arme bereithält und gegenüber ein Wächter wacht. Überall diese gestrengen Figuren in Menschengröße, an denen keiner ohne das Codewort vorbeikommt: Krieger und Heilige, preußische Sichtachsen als Wegweiser.

Die Treppe im Foyer wird zur Jakobsleiter, oben ein Videoclip zeigt die Genese des Bildes vom „Großen Kurfürst“. Dann ein Sofa mit Lampen, darüber das Bild, wie es noch keiner sah. Hier, im Oberstübchen von „Universum Zwo“, blickt man herab auf den Ort, von dem man herkam. Hinab dann, vorbei am Hochmut des Halskrausen-Manns, hin zum hintersten Raum. Dort ist der Kurfürst an den Thron gebunden, vorbei mit Spielen und Spaß. Wächter auch hier, halb Wesen, halb Mensch. Hier wird, so Goetze, auch mal ein Ratgeber hingerichtet. Engel in Menschengestalt daneben. Und vieles andere, was man vor der universalen Fülle dieser Ausstellung gar nicht erfassen kann. Goetze ist ja nirgends formal, ihm geht es um menschengebundenen Inhalt, um Gedanken und um zwingendes Erleben seiner Idee, die eine so schöne und reichhaltige Personage hat. Endlich wieder Menschen in der Galerie, Figuren der Gegenwart in den Posen von gestern, teils wie Reliefs gemalt. Er karikiert und denunziert nicht, er ist nicht mal besonders kritisch: Er stellt einfach nur ganz anders dar, das ist Kunst aus Größe!

Alles Gegenwart – nichts religiös? In dieser Schau ist mehr Apokalyptisches, als einem lieb sein kann. Nicht nur diese Maria inmitten der großen Zerstörung, die jedem Universum innewohnt. Also genau der Ort, wo man nach Goethe spricht: Hier bin ich Mensch, hier muss ich’s sein!

Die Ausstellung ist bis zum 2. November, mittwochs bis samstags, 13-18 Uhr, geöffnet.

Gerold Paul

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