
© Andreas Klaer
Kultur: Heim der Muse
Seit einem Jahr ist das Rechenzentrum ein Kunsthaus. Und noch immer wollen Kreative einziehen. Ein Rundgang zum Jubiläum
Stand:
Münder und Rosen faszinieren sie, deshalb malt Iris Klauck sie. Die Künstlerin fühlt sich von der Göttin der Kunst geliebt. „Musenkuß“ ist der Titel ihrer kommenden Ausstellung im Potsdamer Rechenzentrum. Zu sehen ist Schönes: ein gerader Rücken, mit BH, vor Altbautür und Blumentapete, Porträts von hübschen, jungen Frauen. Es geht um Sinnlichkeit. Meist fertigt Klauck mehrere Bilder zu einem Thema. Serien entstehen: zum Fußball, der für sie Kampf und Leidenschaft bedeutet. Zur Kindheit, die für Klauck auch mit erstem Konkurrenzgebaren verbunden ist: „Kampf im Buddelkasten“, so ein Bildertitel.
Klauck hat sich ganz der Malerei verschrieben. Was nicht immer ganz einfach ist, denn Ölmalerei ist mit Terpentingeruch, spritzender Farbe, Farbklecksen auf Wänden und Boden verbunden. Das kann in der häuslichen Wohnung schwierig werden. Daher ist Klauck recht dankbar, im Rechenzentrum einen guten Ort für ihr malerisches Temperament gefunden zu haben. So richtig große Formate sind in dem eher kleinen Atelier zwar nicht möglich, aber immerhin kann die Künstlerin wieder mit Ölfarbe arbeiten. Vorher, in der gemeinsamen Wohnung mit dem Lebenspartner, ist sie auf die wasserlösliche Acrylfarbe ausgewichen. Was ihrer Malerei nicht unbedingt geschadet hat. Recht überzeugend hat Klauck mit schnellem, wässrigem Pinselstrich und expressiver Farbgebung figürliche Szenen ins Bild gebannt.
Geboren in Berlin studierte Klauck zunächst an der Hochschule der Künste Berlin, dann an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Hamburg. „An sich ging es um Illustration, aber bei meiner Diplomarbeit habe ich mich ganz auf Malerei konzentriert.“ Nach einem Studienaufenthalt im polnischen Krakau zog sie nach Potsdam. Ein Intermezzo als Kunstlehrerin am Einstein-Gymnasium in Potsdam war recht erfolgreich. Als die von Klauck vertretene Fachkraft wieder zurückkam, wünschten die Schüler den Abschluss des Schuljahres doch bei der Künstlerin zu machen. „Ich habe bei allen ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert“, sagt Klauck.
Doch nicht nur Maler bevölkern das Kunsthaus Rechenzentrum. Bildhauer, Zauberkünstler, Radiojournalisten und Theatermacher haben dort eine Bleibe gefunden. Das gilt bis zum 31. August 2018, dann endet nach derzeitigem Stand der Vertrag zwischen dem Betreiber Sozialpädagogisches Institut (SPI) und der Stadt Potsdam. Auf einem Teil des Grundstücks möchte die Stiftung Garnisonkirche das Kirchenschiff der wieder aufzubauenden Kirche errichten. „Darüber möchte ich jetzt gar nicht nachdenken. Wir sind hier im Haus angekommen und es entwickelt sich hier viel Lebendiges“, sagt Anja Engel, die das Kunsthaus leitet. Der Bedarf für Künstlerateliers sei riesig, das zeigten die Bewerberlisten.
Mit einer mehrtägigen Feier will das Haus vom 23. September an zeigen, wie vielfältig die entstehenden Arbeiten sind. Mit Theater und Musik, Bildern und Performance, offenen Ateliers und Podiumsdiskussionen macht das Rechenzentrum darauf aufmerksam, dass sich in Potsdam eine junge Kreativszene artikuliert, die bezahlbaren Platz in der Innenstadt benötigt. Daher ist Engel froh über die zwei Etagen im Gebäudeflügel des Künstlerhauses, aus denen nun die Verwaltung des Zentralen IT-Dienstleisters des Landes Brandenburg (ZIT) auszieht und die dann auch für Künstler zur Verfügung stehen. „Die Fläche verdoppelt sich, aber wir haben schon jetzt genug Bewerber“, stellt Engel fest. Aus einer nun leer stehenden Küche würde sie außerdem gerne ein Café machen. „Aber das scheitert bisher an der begrenzten Nutzungsdauer und an den Bauauflagen, die sich seit dem Einbau der Küche sehr geändert haben“, sagt Engel.
Ein Auswahlgremium aus Mitgliedern des Kunsthauses und Vertretern der Betreiber entscheidet über die Aufnahme der neuen Mieter im Kunsthaus – so viel Bürokratie muss trotz allem sein. Um Verwaltungsabläufe, Bürokratie und Beamtendeutsch geht es auch in dem Dokumentartheaterstück, das Sina Schmidt und Sophie Roeder entwickelt haben. Die „Schreibtischherrschaft“ der Bürokraten ist das Thema, das Setting ist ungewöhnlich für ein Theaterstück. „Der Zuschauer wird in eine Behördensituation versetzt“, erläutert Schmidt. Formulare sind auszufüllen, Gesetzestexte zu studieren. Auf manch merkwürdiges Wortungetüm sind die beiden Theatermacherinnen bei ihrer Recherche gestoßen. „Raumgreifendes Großgrün“ ist nicht etwa eine Wandfarbe, sondern bedeutet im Behördendeutsch: Baum. Eine „Personenvereinzelungsanlage“ ist auch nicht so gefährlich, wie es sich anhört, sondern schlicht ein Drehkreuz. Schon Kafka kannte die Vertracktheit verwinkelter Behördenabläufe und -sprache. Dass sich daran nicht viel geändert hat, zeigen die Theatermacherinnen in ihrem ungefähr halbstündigen Stück, das sie mit viel Energie, Zeit und Engagement, aber wenig Geld und Förderung realisiert haben. Viele Requisiten stammen aus Spenden: Aktenordner, Papier und Dokumentenberge. „Wir hoffen, dass es eine Initialzündung für weitere Projekte wird“, sagt Sina Schmidt.
Keine Gedanken um weitere Projekte muss sich der Bildhauer Stefan Pietryga machen. In seinen Räumen im Rechenzentrum zeichnet er Aquarelle und Skizzen, fertigt kleinere Modelle der Skulpturen, die in aller Welt zu sehen sind. Sein Markenzeichen sind kleine ultramarine Bäumchen, aus Holz gehauen, von denen eines einige Zeit im Großformat vor dem Rechenzentrum stand. Derzeit ist Pietryga viel unterwegs: in Süddeutschland, aber auch in China, in den USA, wo er ein Projekt zur Steuben-Parade, die am 17. September in New York stattfindet, geplant hat. Für Potsdam hatte Pietryga bereits eine Bronzeplastik von Steuben entworfen. Der preußische Offizier Freiherr Friedrich Wilhelm von Steuben gelangte in den USA als General im Unabhängigkeitskrieg unter Georg Washington zu Ruhm. Da lag es nahe, den Blick der Potsdamer Statue auch nach Amerika schweifen zu lassen. „Ja, die Arbeiten der Künstler, die hier im Rechenzentrum entstehen, strahlen in die ganze Welt“, sagt Anja Engel.
Einzelausstellung „Musenkuß“ ab dem 9. September im Erdgeschoß des Kunst- und Kreativhauses Rechenzentrum, Dortustraße 46
Richard Rabensaat
- Garnisonkirche Potsdam
- Hamburg
- Hochschulen
- Kunst in Berlin
- Mieten
- Schule
- Schule und Kita in Potsdam
- Theater in Potsdam
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: