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Lesung im Filmmuseum: Heimat kann man sich auch aneignen

Theodor Michael war als Afrodeutscher zur NS-Zeit verfolgt. Die einzige Arbeit, die er ausüben durfte: Statist in rassistischen UFA-Produktionen. Nach dem Krieg machte er Karriere beim BND. Im Filmmuseum blickt er am Donnerstagabend zurück auf ein Leben als schwarzer Deutscher.

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Potsdam - An seine erste Rolle kann er sich nicht erinnern. Etwa drei Jahre war Theodor Michael alt, als er das erste Mal als Komparse in einer Produktion der Babelsberger UFA-Studios auftrat. „Das war ungefähr die einzige Möglichkeit, die Menschen wie ich, sogenannte Exoten, hatten, um ihr tägliches Brot zu verdienen“, sagt der 90-Jährige heute. Unvorstellbar, dass er später studieren und eine Karriere beim Bundesnachrichtendienst machen würde. Seine Erinnerungen hat Theodor Michael in seinem Buch „Deutsch sein und schwarz dazu. Erinnerungen eines Afro-Deutschen“ festgehalten, am Donnerstag kommt er damit zu einer Lesung ins Filmmuseum.

Während der NS-Zeit gab es für ihn zunächst nur diese eine Rolle: In den damals äußerst beliebten, meist zutiefst rassistisch geprägten Kolonial- und Reisefilmen sollte er – so wie Tausende andere Afrodeutsche – als Komparse für exotisches Flair sorgen. Kaum waren die Nazis an der Macht, wurde der 1925 als Sohn einer Deutschen und eines Kameruners in Berlin Geborene zum Vollwaisen, seine Mutter war bereits 1926 gestorben. Theodor Michael und seine Geschwister kamen zu Pflegeeltern, und um Geld heranzuschaffen, schlug er sich weiter als Page, Portier und Komparse durch. Seinen letzten Film – „Münchhausen“ – drehte er 1942. Ein Jahr später wurde er von den Nazis in das Arbeitslager in Adlershof interniert.

Theodor Michael: "Ich wollte nur weg"

Die Wehrmacht hatte ihn ausgemustert – anders als andere Afrodeutsche, die heller waren als er. Durch die Musterung allerdings fiel er den Behörden wieder auf, bislang hatte ihn sein deutsch klingender Name einigermaßen geschützt. „Zum Arbeitseinsatz taugt der noch etwas, haben sie wohl gedacht“, sagt Theodor Michael. Seine ältere Schwester Juliane war inzwischen in Frankreich, schon vor Kriegsausbruch hatte sie versucht, ihn aus Deutschland herauszuholen. Vergebens. „Natürlich wollte ich nur weg, weg, weg aus diesem schrecklichen Land – aber wohin?“ Noch dazu als ein Junge, der, wie er sagt, immer nur geduckt und auf andere angewiesen hatte leben müssen.

Auch nach dem Krieg, nach seiner Befreiung aus dem Arbeitslager, blieb er in Deutschland. Wo sollte er auch hin: „Ich hatte keine Ausbildung, ja nicht einmal einen richtigen Schulabschluss, ich konnte nur an meinen alten Beruf anknüpfen und Komparsenrollen am Theater und im Fernsehen annehmen. Damit aber konnte er seine Frau und die vier Kinder auf Dauer nicht ernähren. Also bewarb er sich an der Akademie für Wirtschaft und Politik in Hamburg – dort konnte er auch ohne Abitur studieren, eine dreitägige Aufnahmeprüfung genügte. So schrieb er sich für Volkswirtschaft ein und absolvierte einen Teil des Studiums an der Pariser Sorbonne. Dort bildete man damals die französischen Kolonialbeamten aus, jene Eliten, die sich später um die in die Unabhängigkeit zu entlassenen Kolonien kümmern sollten.

"Bis heute haben wir den alltäglichen Rassismus"

Viel Zeit, seine Frau und die Kinder zu sehen, blieb in diesen drei Jahren nicht – seine Ehe hat es überstanden: Seine Frau und er hatten sich nach Kriegsende im Krankenhaus in Frankfurt kennengelernt, wo er wegen seines Magengeschwürs behandelt wurde. „In einer solchen Zeit der Unterdrückung bekommt man so etwas.“ Seine Frau war dort Krankenschwester, kam aus Oberschlesien, war wie er eine Entwurzelte. „Wir waren eigentlich zwei in der Welt zurückgelassene Menschenkinder, die sich gefunden hatten.“

Als Afrodeutscher hatte er den NS-Terror überlebt, nun galt es zu leben. „Bis heute haben wir immer noch den alltäglichen Rassismus, der wird auch nicht so schnell wegzudenken sein“, sagt Michael. Es mag keine politische Verfolgung mehr geben, aber es sind die kleinen, beständigen Demütigungen, die ihn mürbe hätten machen können: „Ich reise etwa aus einer osteuropäischen Hauptstadt an, und an der Grenze winkt der Beamte alle anderen durch – mich hält er an und fordert meinen Pass. Ich sage: Den brauche ich doch nicht, hier haben Sie meinen Personalausweis.“ So beschreibt Michael das, was oft so technisch-bürokratisch mit „racial profiling“, also einer etwa auf ethnischer Zugehörigkeit basierenden Ungleichbehandlung durch Polizeibeamte, bezeichnet wird. Michael könnte Hunderte solcher Beispielen nennen –„wenn zwei Menschen gleicher Qualifikation im Rennen sind, raten Sie mal, wer die Stelle dann bekommt“ – aber eigentlich hat er keine Lust darauf. „Am Ende kann ich doch sagen, ich hatte ein glückliches und erfolgreiches Leben.“ Trotzdem, den jungen Afrodeutschen sagt er es immer, immer wieder: „Ihr müsst euch durchbeißen, Leute wie wir müssen immer schon vorab beweisen, was wir können.“

Warum das bis heute so ist? „Wir dürfen nicht vergessen, nach der NS-Zeit mit ihrer Rassenverfolgung haben auch die Amerikaner ihren eigenen Rassismus aus den USA mitgebracht.“ Auch nach dem Krieg habe es in Deutschland weder eine Afrika-Politik noch überhaupt ein Verständnis für die rassistischen Strukturen gegeben. Ein Beispiel: Eugen Gerstenmaier, in den 1950er- und 1960er-Jahren Bundestagspräsident, ein Mann, der im aktiven Widerstand gegen die Nazis gewesen war und zudem Präsident der deutsch-afrikanischen Gesellschaft in Bonn, bekam eines Tages eine Einladung, um im südafrikanischen Parlament zu sprechen. „Wäre er tatsächlich angereist, hätte er dort vor einem rassistischen, weil nämlich weißen Parlament gesprochen – das wäre eine Bestätigung gewesen für die damalige südafrikanische Apartheidspolitik“, sagt Michael. Er, damals Chefredakteur der Zeitschrift „Afrika Bulletin“, protestierte gegen die Reise, und tatsächlich – Gerstenmaier sagte sie kurzfristig ab.

Flüchtlingspolitik bereitet ihm heute Sorgen

Klar, ein solcher Fehltritt würde heute nicht mehr passieren, aber es gibt anderes, was Michael Sorgen macht: die Flüchtlingspolitik etwa. „Es wird immer vergessen, dass Menschen flüchten, weil sie einen Grund haben, weil sie gut ausgebildet sind und keine Arbeit finden. Kurz: Ihre Heimat verlassen immer nur die Besten, die, die eigentlich eine Elite bilden sollten. Gegen solche vermeintlichen Wirtschaftsflüchtlinge macht derzeit die rechtspopulistische Pegida-Bewegung Stimmung: „Die sind politisch ganz schwer einzuordnen, weil das ein Sammelbecken ist von Unzufriedenen“, sagt Michael. Auf diesen Befürchtungen lassen sich nur zu leicht politische Entwicklungen aufbauen. „Ich sehe darin eine Parallele zu etwas, das 70 Jahre zurückliegt: Die ganzen 20er-Jahre sprach man kaum von einer nationalsozialistischen Partei, die gab es zwar, interessant wurde sie aber erst, als die Weltwirtschaftskrise ausbrach.“

Und wenn die Pegida-Demonstranten „Wir sind das Volk“ rufen? Die Mehrheit der Deutschen, sagt Michael, definiert Volk immer noch wie zu Hitlers Zeiten. Zeitgemäßer wäre, den Begriff im Sinne von Staatsangehörigkeit zu gebrauchen. Man könnte es auch so sagen: Heimat ist nicht nur etwas Angeborenes, man kann sie sich aneignen. Oder wie der kleine Junge, dem Michael auf einer Rolltreppe begegnete. Der strahlte ihn an und rief, „Mama, schau mal, ein Kanake.“ Die Mutter war peinlich berührt, doch Michael sagte: „Ihr Junge hat eigentlich nichts Falsches gesagt, nichts anderes, als: ,Schau mal, ein Mensch.“ Denn das bedeutet das Wort Kanake in der polynesischen Sprache.

Theodor Michael kommt am Donnerstag, dem 5. Februar, um 18 Uhr zum Gespräch mit dem Filmhistoriker Tobias Nagel ins Filmmuseum, Breite Straße 1a.

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