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Kultur: Heimatkunde

Sammelband stellt das Jüdische Brandenburg in Geschichte und Gegenwart vor

Stand:

2011 soll in Potsdam eine Synagoge eingeweiht werden. Über ihren Standort und die Finanzierung wird allerdings noch diskutiert. Nur eines ist sicher: Potsdam soll wieder ein jüdisches Gotteshaus erhalten. Nicht nur, weil die Geschichte jüdischen Lebens in Potsdam bis ins späte 17. Jahrhundert zurückreicht, sondern auch, weil es inzwischen wieder eine gewachsene jüdische Gemeinde in der Stadt gibt. Genauer gesagt gibt es zwei Gemeinden, die unterschiedlichen religiösen Strömungen innerhalb des Judentums zuzurechnen sind. Ähnlich sah die Situation auch schon im 19. Jahrhundert aus, als es neben der großen liberalen eine kleinere orthodoxe Gruppe gab.

Über solche Parallelen des Gestern und Heute informiert anschaulich der soeben erschienene Band „Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart“. Das Buch hat mit 700 Seiten einiges Gewicht. Die Mehrheit der Autoren sind Menschen aus der Praxis – Kuratoren, Museumsleiter oder Archivare – was den Aufsätzen mitunter den Ton von Heimatkunde verleiht. Heimatkundler sind akribische Erforscher der eigenen Geschichte. Die kann schon mal einige hundert Jahre zurückreichen. Im besten, wie im vorliegenden Fall, reichen solche Erkundungen der Vergangenheit über die eigene Stammbaumforschung hinaus.

Auf etwa 300 Seiten dokumentiert das Buch Entstehung und Entwicklung von 13 jüdischen Gemeinden im Land Brandenburg. Das ist Gemeindegeschichtsschreibung im doppelten Sinn: zum einen wird das Entstehen religiöser Gemeinschaften nachgezeichnet, zum anderen aber auch schlicht Ortsgeschichte geschrieben, denn als Kaufleute, Ärzte und nicht zuletzt Steuerzahler prägten Juden auch in Brandenburg die Entwicklung von Städten mit. Oft sind es Friedhöfe, die auf eine frühere Anwesenheit jüdischer Nachbarn verweisen. Heute ist, wie Grafiken im Buchspiegel visualisieren, nur ein einziger jüdischer Friedhof noch in Benutzung - der in Potsdam.

Die im Umfang sehr verschiedenen Texte sind als Chroniken konzipiert. Prägnant wird von Stefanie Oswalt etwa die kurze Geschichte jüdischen Lebens in Lindow dargestellt, während Klaus Arlt über Potsdam schreibt. Brigitte Meier fächert in ihrer Ortsgeschichte jüdisches Leben in Frankfurt/Oder sowohl in chronologischer Weise wie auch in thematischen Schlaglichtern auf – dies zudem in einer sensiblen und differenzierten Darstellungsweise, die diesen längsten Text des Buches zu einem erkenntniserweiternden Lesegenuss macht.

Gleichzeitig schlägt sie mit ihrem Schreibstil eine Brücke zum zweiten großen Schwerpunkt des Sammelbandes mit 17 Essays, die exemplarisch Episoden jüdischen Lebens vorstellen. Zu erfahren ist, dass die Viadrina als erste deutsche Universität jüdische Studenten aufnahm, dass hebräischer Buchdruck zu einem lukrativen Geschäft auch für Nichtjuden wurde, wie jüdische „Entrepreneurs“ in Potsdam im 18. Jahrhundert Manufakturen gründeten und Fürsorge- und Erholungsheime in der Provinz entstanden. Nachlesbar sind aber auch Porträts von Liebesgeschichten, z.B. die von Tucholsky und Elsa Wein, die fiktionalisiert als Claire in „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ von Tucholsky verewigt und später von den Nazis ermordet wurde.

Eine im Anhang zu findende tabellarische Chronologie jüdisch-brandenburgischen Lebens hilft diese Kontexte in der Zeit zu verorten. Den ersten zehn Jahren nach 1990 ist ein eigener Essay von Wolfgang Weißleder gewidmet, der sich vor allem auf die durchaus schwierige Neugründung der jüdischen Gemeinde in Potsdam konzentriert. Dieser Bericht ist hilfreich in seiner Auflistung von Fakten, leider fehlt ihm die Analyse. So versäumt es etwa der Autor, den unbeteiligten Lesern die Besonderheiten einer Lubawitscher Gemeinde zu erläutern. Die Differenzen auf persönliche Animositäten und juristische Streitereien zu reduzieren, verkennt den religiösen Charakter, den jüdisches Gemeindeleben auch hat. Die orthodox-chassidische Ausrichtung der Gemeinde wäre aber eine mögliche Begründung für die Kommunikationslosigkeit zum Abraham-Geiger-Kolleg, das wiederum Rabbiner für liberale Gemeinden ausbildet und damit an das Gemeindeleben vor 1945 in Potsdam anknüpft.

Insofern bietet der Band einen Zwischenstand der Forschung, allerdings in einer ästhetisch sehr anspruchsvollen Form. Mit seinen zahlreichen Abbildungen, dem informativen Glossar, einem ausführlichen Personen- und Ortsregister und nicht zuletzt durch den moderaten Preis von 29,95 Euro richtet sich das Buch sowohl an eine breite Öffentlichkeit wie auch an ein wissenschaftliches Fachpublikum – an private und berufliche Heimatkundler also.

Morgen um 18 Uhr stellt die Herausgeberin Irene A. Diekmann den Band in der Landeszentrale für Politische Bildung vor.

Lene Zade

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