zum Hauptinhalt

Kultur: „Heimliches Drehbuch bis in die Gegenwart“

Sammelband über Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts /Buchpremiere und Workshop heute

Stand:

Sammelband über Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts /Buchpremiere und Workshop heute „Es besteht die paradoxe Situation, dass immer mehr Menschen via Film, Fernsehen und Internet in kriegerische Auseinandersetzungen involviert sind und sich gezwungen sehen, Stellung zu beziehen, dies aber immer weniger auf der Grundlage eines realitätshaltigen Bildes des Krieges zu tun vermögen", meint Gerhard Paul in seinem Einleitungsartikel von „Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts“. Das von Bernhard Chiari, Matthias Rogg und Wolfgang Schmidt herausgegebene Buch entstand zwei Jahre nach einer Tagung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam. In seiner Einführung gelingt es Paul dem Leser in einer rasanten Reise durch die Jahrzehnte vom Beginn des Kriegsfilms bis zu seiner heutigen Entwicklung zu führen. Wie viele seiner Kollegen ist er der Auffassung, dass eine Unterscheidung zwischen Kriegs- und Antikriegsfilm nicht sinnvoll sei, da ein jeder viele Elemente des anderen enthalte. Der Kriegsfilm als Mittel zur Mobilisierung der Bevölkerung wurde mit „Battle of the Somme“ 1916 in Großbritannien geboren, wobei der Film die auf britischer Seite desaströs geplante und ausgeführte Schlacht für die Bevölkerung weich zeichnete. Der Erfolg ließ die Oberste Heeresleitung in Deutschland aufhorchen. Der erste Generalquartiermeister Erich Ludendorff propagierte längst den totalen Krieg - dafür war der Film genau das richtige Medium. Um selbst Propagandakriegsfilme produzieren zu können, sorgte er für die Gründung der Ufa. Der Film „Bei unseren Helden an der Somme“ blieb allerdings hinter dem Erfolg des britischen Vorbilds zurück. Es war damals selbstverständlich, dass den Zuschauern das Bild zerrissener oder zerstückelter Soldatenkörper erspart blieb. Diese Entwicklung hat sich bis heute aufgelöst und geradezu ins Gegenteil verkehrt Im modernen Kriegsfilm und Action-Kino wird Gewalt zelebriert. Morde dürfen in Zeitlupe und Nahaufnahme gefilmt werden. Regisseure, Produzenten und Darsteller reden sich gerne damit heraus, dass die gezeigte Gewalt nur zum Erzählen der Geschichte wichtig sei und dass man an Massakern Jugendlicher selbstverständlich keine Schuld trage. Ganz anders verhält es sich im „alten“ Kriegsfilm. Der Krieg diente als Handlungsfolie um ganz andere Botschaften zu vermitteln: der Aufruf zu Opferbereitschaft und Heldentum. Viele Kriegsfilme kommen gar ohne einen einzigen gezeigten Feind aus. Den Filmemachern im Ersten Weltkrieg wurde bald deutlich, dass die nachgestellten Kampfszenen oft hölzern und unfreiwillig komisch wirken, so dass immer mehr Kameramänner an die Front geschickt werden, um ihr Filmmaterial als Action-Sequenzen verwenden zu können. Den Höhepunkt erreicht diese Entwicklung einen Weltkrieg später in Deutschland, als die über 40 Propagandakompanien zu einer 15000 Mann starken Propagandatruppe zusammengeführt wurden - die Stärke einer ganzen Heeresdivision. Die dabei erlangte Expertise der Filmprofis verschwand nach der Niederlage nicht einfach, sondern tauchte nach dem Krieg in der zivilen Filmwirtschaft wieder auf. „Die filmische Ästhetik der NS-Kriegspropaganda - somit auch das nationalsozialistische Bild des Krieges - blieb erhalten und verlängerte sich als ‚heimliches Drehbuch'' nahezu ungebrochen bis in die Gegenwart hinein“, stellt Paul fest und findet damit auch einen Grund für die erstaunten Reaktionen auf die Wehrmachtausstellung. Bei dem Buch handelt es sich um einen Herausgeberband. Die Qualität der Beiträge sind somit alle gleich hoch. Günter Riederer benutzt seinen Artikel, um eine Nabelschau seiner Zunft zu betreiben und liefert dem Leser damit wenig Neues. Zwischen die Kriegsfilme schmuggelte sich auch ein Artikel von Herbert Mehrtens über den Katastrophenfilm „Deep Impact“ und ähnliche Produkte. Er konstruiert dabei ein Bild der „kampfbereiten Nation“ im Angesicht des Desasters, was vor allem im Hinblick auf solch reine Effect-Movies wie „Armaggedon“ nicht plausibel werden will. Die übrigen Beiträge erfreuen nicht nur durch das profunde Wissen der Autoren, die nicht wie oft üblich nur aus titeltragenden Hochschullehrern bestehen, sondern auch durch die quellengesättigte Einbettung der Filme in die gesellschaftliche Situation ihrer Zeit. Dies führt zum Beispiel zu besonderen Überraschungen bei den Fridericus-Filmen, der Produktion von dem Vietnam-Movie „Apocalypse-Now“ und „Barras heute“, einem der ersten Filme, der gemeinsam mit der Bundeswehr entstand. Der Sammelband stellt Geschichte nicht nur aus einer besonders lebhaften Perspektive dar, sondern hilft dem Leser in der heutigen medialen Sintflut, Filme kritischer und wissender zu betrachten. Jörg Muth B. Chiari, M. Rogg, W. Schmidt ( Hrsg. ), Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts, München 2003, 49,80 Euro Die Buchpräsentation in Verbindung mit dem Workshop zum Thema „Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts“ findet heute von 15.30 bis 18.30 Uhr im Kinosaal (1104) der Filmhochschule Marlene-Dietrich-Allee 11, statt. Der Wokshop wird veranstaltet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, der Filmhochschule sowie dem Oldenbourg Wissenschaftsverlag.

Jörg Muth

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })