POSITION: Heirat im Filmjahr
Das Filmmuseum Potsdam wird 2011 Institut der HFF Von Bärbel Dalichow
Stand:
Was soll denn das Filmmuseum in der Filmhochschule? Finden Sie das etwa gut?“, so die mir am häufigsten gestellte Frage 2010. Ja, finde ich gut. Und warum?
Jeder Organismus, jede Struktur wird von Alterungs- und Zerfallsschüben befallen. Nicht nur Museen, auch Hochschulen geschieht das. „Unter den Talaren der Mief von tausend Jahren“, tönte einst ein Sprechchor, ein Studentensprechchor, versteht sich. Und so kam erfrischender Wind auf. Anders als Museen bekommen Hochschulen nämlich permanente Antikörpertransfers gegen Verkalkung. Jedes Jahr ziehen sie frische Energie aus jungem Zuwachs, in jedem neuen Jahr zeigen junge Wissenschaftler und Künstler, was sie am Studienende können und versorgen so ihre Alma Mater mit Vitalstoffen. Hochschulen können sich deshalb kaum vor der jeweils neuen Zeit drücken, selbst wenn sie es wollten. In Museen dagegen, die wie andere staatliche Dienstleister seit langem unter mageren Budgets und Einstellungsverbot leiden, ist das anders, weil Staaten, Bundesländer, Städte statt für menschenfreundliche Offerten immer mehr für Banken- Subventions- und Sozialfürsorge aufbringen müssen. Selbst die agilsten Museumsbeschäftigten erschöpft der Zwang, dem rasenden Puls der Zeit nachhecheln zu müssen, wenn sie ohne ausreichende Mittel und ohne junge Kollegen bleiben.
Für das Filmmuseum könnte die Hochschule für Film- und Fernsehen „Konrad Wolf“ Potsdam-Babelsberg, dessen Institut das Museum ab Mitte 2011 sein wird, gleichsam zum Jungbrunnen werden. Bereits vor der Eröffnung des Museums 1981 gab es diese Idee, zehn Jahre später wieder und weitere zwanzig Jahre danach folgt nun der dritte Versuch. Die erste deutsche Filmhochschule ist mittlerweile 66 Jahre alt, das erste deutsche Filmmuseum wird im April 30 – neuerdings ein übliches Heiratsalter. Die aussichtsreiche Beziehungsanbahnung begann vermutlich 2008 mit der ersten Kinderfilm-Uni in Deutschland. Die turbulente Verlobungszeit war von Hintergrundgesprächen zu Struktur und Finanzen geprägt, gleichzeitig plagte sich die Museumsbelegschaft mit der Furcht vor einer Dominanz der Alma Mater und mit Untergangsängsten. Auch Argwohn gehört zu einer Beziehung. Den Rahmen zur Vermählung soll nun „Potsdam 2011 Stadt des Films“ abgeben. Was für ein passendes Jahr.
Warum will die Politik eigentlich diesen Zusammenschluss? Warum schafft sie das Museum nicht einfach ab, wenn das Land doch so klamm ist? Weil man in Brandenburg froh über den Medienstandort Babelsberg ist und Wirtschaftsinstitute obendrein für die Hauptstadtregion weiter erhebliche Zuwächse im Medienbereich prognostizieren. Die HFF wird mit ihren Absolventen zum Realitätsgehalt dieser Vorschau beitragen helfen und das Museum für die Rückschau sorgen, denn was heute hypermodern erscheint, ist morgen Mediengeschichte. Der 100. Geburtstag der Babelsberger Filmproduktion naht und deren Geschichte bewahrt das Potsdamer Filmmuseum. Es macht seine Sache gut. „Stärken stärken“ heißt die Parole und klingt realistischer als die letzte, in bestrickendem Behördendeutsch „dezentrale Konzentration“ getauft. Manche Phantasien aus der Nachwendezeit haben sich verflüchtigt, die Projektion zur Medienentwicklung aus den frühen 1990er Jahren hatte dagegen trotz vielfacher Rückschläge Substanz. Das Museum passt in dieses Raster und außerdem in das der Tourismuswirtschaft. Zu den Vorzügen von Brandenburg gehört seine Anziehungskraft auf Reisende, die Geschichte und Natur lieben. Da hat das Filmmuseum Glück. Kommt in den 2010er Jahren nun die politische Parole „Vorzüge vorziehen“ auf? Bitte nicht lachen. Auch damit würden Künstler und geförderte Institutionen leben lernen, denn allen, die von politischen Entscheidungen negativ betroffen sind, vergeht das Lachen schnell. Nun kommt eine Frage, die m i r niemand stellte: Was könnte sich die Filmhochschule vom Museum versprechen? Ich antworte trotzdem. Ja, das Museum ist eine nett anzusehende Braut. Der sie umhüllende Marstall ist das älteste der erhaltenen königlichen Bauten in Potsdam und liegt nach dem Aufbau des Landtagsgebäudes bald auf der Sahneseite von Potsdam. Dort, in der alten Stadtmitte, soll es in absehbarer Zeit leuchtende Schaufenster der Wissenschaftsstadt geben. Die HFF bekommt nun eines und gleich das allerschönste. Doch die Museumsbraut hat trotz ihrer Jugend ausgeprägte Schwächen, so die gefürchtete Finanzschwäche. Hat der Bräutigam da nicht Angst, dass sie ihm in die Tasche greifen will, den Alten nur ausnutzen? Nein. Er ist ebenfalls berechnend und macht einen Ehevertrag, dem beteiligte Ministerien zustimmen müssen. Beide Partner sind aber auch romantisch: Man wird einander bereichern und sich das Leben versüßen. Herrliche Projekte sind schon begonnen. So werden im nächsten Jahr Kamerastudenten im Fach dokumentarisches Interview unterrichtet, dabei filmen sie prominente Filmemacher für die neue Dauerausstellung. Für diese Ausstellung entwickeln künftige Künstler auch andere Elemente, so unter Anleitung der Professorin für künstlerische Forschung kurze Hörstücke. Gemeinsam bemühen sich Professoren und Museumsleute um das Einwerben von Stiftungsgeldern für die Medienbildung zugunsten von Brandenburger Schulen. Natürlich müssen die neuen Medien im Museum mehr Beachtung finden – dafür wird die Hochschule schon sorgen. Gemeinsam arbeitet man bereits an einem Buch zum 100. Geburtstag des Babelsberger Filmstudios im Februar 2012. Peer Kleinschmidt, ein junger Musiker, der an der HFF Filmmusik im Aufbaustudium absolviert, spielt seit einigen Monaten als Stummfilmbegleiter an der Orgel des Museums, zu erleben heute um 20 Uhr zum Film „Wunder der Schöpfung“ von 1925. Szenenbildstudenten könnten bald Ausstellungen gestalten und sich so erste Meriten verdienen. Und natürlich laufen HFF-Filme im Museumskino. Vielleicht unterrichten Museumsleute irgendwann auch HFF-Studenten, vielleicht kann es sogar einen ganz neuen europäischen Studiengang geben, der sich dem Erhalt des Filmerbes widmet. Dann werden die Museumssammlungen noch wichtiger als sie es heute schon sind – so das Konzept des Professors für Mediengeschichte. Alles wird gut.
Der Himmel hängt voller Chaplin-Geigen, aber plötzlich erwacht der kleine Tramp aus seinem Traum und ist ein armes Luder. Natürlich kann man sich das Zusammenleben gegenseitig zur Hölle machen und in Ignoranz nebeneinander versteinern. Das malen wir uns in der besinnlichsten Zeit des Jahres lieber nicht aus. Setzen wir stattdessen auf guten Willen, vernünftige Strukturen, bewegliche Protagonisten. Schauen wir über den Jahreswechsel hinaus in den grünen Sommer hinüber, wo ein amtlicher Beschluss die Vereinigung von Filmhochschule und Filmmuseum besiegeln wird. Die Feier der Vereinigung wird genau 100 Jahre nach dem Tag stattfinden, an dem der Filmpionier Guido Seeber für die Filmgesellschaft Bioskop die Baugenehmigung für den Umbau eines leerstehenden Fabrikgebäudes auf einer Brache erhielt. Seiner Tat und den Taten vieler, die ihm folgten, verdanken Hochschule und Museum ihre Existenz. An diesem Tag, am 3. November 2011, eröffnet das Museum seine neue Ausstellung „Die Traumfabrik – 100 Jahre Film in Babelsberg“. Die kreativen Vitamine der Filmhochschule beginnen zu wirken, HFF und Filmmuseum sind ein Paar und feiern. Allen Skeptikern – und wer zählte sich nicht dazu – ein gutes Jahr 2011!
Die Autorin ist Leiterin des Filmmuseums Potsdam.
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