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Kultur: Hellsichtige Nacht

„Der Traum ein Leben“ – ein dramatisches Märchen von Grillparzer archaisch auf dem Pfingstberg

Stand:

Sie sind von marmorner Schönheit: anmutig, mit weich fließenden Gewändern – wie ein Hauch in der Sommernacht. Fast hat man den Eindruck, als wären sie von den Sockeln einer antiken Skulpturensammlung herabgestiegen, um nun das Belvedere auf dem Pfingstberg mit ihrem archaischen Geist in klösterlicher Ruhe zu erfüllen. Die Figuren in dem selten gespielten Stück „Der Traum ein Leben“ von Franz Grillparzer sind in der Inszenierung des Berliner Theaterlabors Interval poesievolle Gestalten, die elfenhaft zwischen Wasserbühne, Arkaden und Treppenläufen die Zuschauer magisch in ihren Bann ziehen. Dabei gleitet der Tag in die Nacht hinein – so wie auch die Handlung.

Die beginnt vor den Toren des Belvederes: Mirza hält Ausschau nach ihrem Geliebten Rustan und verzehrt sich in leidenschaftlich-jugendlicher Sehnsucht. Doch der große Krieger hat anderes im Sinn als das tägliche Einerlei. Ihn zieht es hinaus ins Abenteuer, geschürt durch die Ermunterungen seines Dieners, dem Negersklaven Zanga. Verheißungsvoll ertönt seine Fanfare: „Es lebe der Krieg!!“ Rustans Herz ist in Fernweh entbrannt, nichts kann ihn mehr halten. Nur noch eine Nacht schläft er auf Drängen der Geliebten und ihres Vaters über seine Pläne.

Und Rustan träumt sich hinüber in diese so andere, aufregende Welt. Mit einem leichtfüßigen Tanz und aufsteigendem Nebel gleitet der Träumer hinein in das bizarre Schattenreich. Einfühlsam und in großer Klarheit gestaltet der kolumbianische Regisseur Jaime Tadeo Mikán diesen Übergang, nimmt die Zuschauer sanft mit in die nachtspukenden Fantasien.

Und fürwahr: Sofort beginnen die Abenteuer in Rustans nunmehr weißgewandeter Welt, die allerdings das böse Schwarz in ihm aufkeimen lässt.

Im schummrigen Licht werden wir Zeuge, wie der König von Samarkand von einer giftigen Schlange bedroht wird. Rustan will helfen, schießt aber daneben. Ein anderer Schütze in der Ferne ist treffsicherer. Doch Zanga berückt seinen Herren Rustan, diese fremde Tat für sich zu beanspruchen. Und es gelingt: Der König glaubt dem „Retter“ mit der falschen Zunge. Losgetreten sind Lügen, Ränkespiele, ja selbst Morde. Zangas böse Intrigen färben ab, Rustan verliert sich immer mehr, verrennt sich auf dem steinigen Weg, der auch andere tief ins Unglück stürzt.

Grillparzers poesievolle und lyrische Sprache wird von den Schauspielern ohne Pathos in großer Natürlichkeit gegeben. Anfangs fehlt es dabei etwas an Spannung, wenn der Text mehr aufgesagt, als wirklich durchdrungen ist. Auch die schwer zu nehmende Akustik wird zum Fallbeil mancher Worte. Hier erweist sich, dass genau artikuliertes Sprechen unabdingbar für die schauspielerische Kraft gerade bei Open-Air-Veranstaltungen ist.

Nach der Pause, die allerdings etwas aus dem Geschehen herausreißt, gewinnt die Inszenierung zunehmend an Dramatik. Um den schlicht und doch so wirkungsvoll drapierten weißen Thron entspinnt sich ein Kampf um Leben und Tod: Ohne aufgesetzte Spielereien, immer ganz nah an Text und Seele. Nachhaltig das Bild, wie der stumme Mann seinen toten Neffen – den wirklichen Retter des Königs – herein trägt, am Ende nur noch die weiße Hülle im Arm. Tief gelotet ist die vielschichtige Beziehung zwischen Rustan und der Königstochter Gülnare, die Andreas Schwankl und Isabella Lewandowski nuancenreich gestalten. Auch die anderen Figuren, wie Mirzas Vater (Tim Hoffmann), der König (Olaf Michael Ostertag) oder der Aufruhr schürende Karkhan (Rainer Husted) gewinnen menschliches Maß, die Gesichter sprengen ihre Masken.

Doch vor allem nehmen die dunklen Schattenwürfe an den hellen Mauern und glitzernden Spiegeleien im stillen Wasser mit auf die sinnliche Reise. Die Kulisse ist atemberaubend und mit wundervollen Bildern gefüllt: Ein Zaubermix, dessen imaginäre Wirkung durch die Kostüme im träumerischen Weiß von Rolando Rasmussen und im geerdeten Schwarz von Gabriel Hermida beträchtlich geschürt wird. Auch das Licht ist stimmungsmalender Poet, der in den träumerischen Gesang melodisch mit einfällt.

„Ich hab die Nacht geträumet. Wohl einen schweren Traum“, singen chorisch die Schattengeister das alte Volkslied und umkreisen barfuß das Geschehen – gleich einer antiken Tragödie.

Sicher: Es war alles nur ein Traum. Die Geister, die Rustan rief, waren indes die dunkle Warnung einer hellsichtigen Nacht. Am Ende tanzen Traum und Wirklichkeit einen friedlichen Reigen. Zurück bleibt die Stille. Eine ergreifende.

Zu sehen heute 20 Uhr auf dem Pfingstberg. Karten unter Tel. 0331-20057930.

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