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Kultur: Hellwach

Inspirierend und farbenreich: Goldberg-Variationen im Nikolaisaal

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Die überlieferte Geschichte von Bachs Goldberg-Variationen wird heutzutage zwar angezweifelt, aber sie ist es zur Einstimmung doch wert, erzählt zu werden: Der alte Graf Hermann Carl von Keyserlingk litt an Schlaflosigkeit. Sein Hauspianist Johann Gottlieb Goldberg, ein Schüler Bachs, fragte auf Bitten des Grafen den Thomaskantor, ob dieser für seinen Herrn ein paar Klavierstücke „sanften und etwas munteren Charakters“ komponieren könne. Damit hoffte der Graf, in seinen schlaflosen Nächten aufgemuntert zu werden. Dass die Variationen – eine Aria mit 30 Veränderungen – für einen Kranken seelisch helfen sollten, spürt man daran, dass sie so wohltuend nobel sind in ihrem Temperament, so diskret in ihrem abgründigen Schmerz und so heiter-trostreich in ihrer Fülle.

Nicht nur Pianisten und Cembalisten haben sich dem Variationswerk angenommen, sondern auch Kammermusikensembles. Das Bearbeiten und Umformen eigener und fremder Werke gehörte auch für Johann Sebastian Bach zum Handwerk. Von daher scheint die bearbeitende Auseinandersetzung mit dem Werk des Thomaskantors legitim. Vor allem die Zyklen des Spätwerks boten ein reiches Betätigungsfeld, öffneten freilich auch nicht selten interpretatorischer Willkür Tür und Tor. Doch sie erfuhren auch immer wieder beglückende Transkriptionen.

Eine davon, die Goldberg-Variationen für Streichtrio von Dmitri Sitkovetsky, wurde am Sonntag in einem Konzert der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal vorgestellt. An einem Nachmittagsschlaf war nicht zu denken, denn Matan Dagan mit seinem silbrigen Geigenton, Christoph Starke, Viola, sowie die Cellistin Ulrike Hofmann, die ihre Instrumente mit Noblesse und Wärme zu handhaben wissen, nahmen sich den Goldberg-Variationen an: inspirierend, farbenreich, in der Polyphonie gut durchhörbar und stimmig in den Proportionen. Den spieltechnischen Eigenheiten der Instrumente wird in dieser Transkription von der Stimmführung her bestens Rechnung getragen. Und so ließ sich der originale Notentext in dieser Streichtrio-Version mit Leichtigkeit verfolgen, zumal er ja so schlüssig analysiert wurde. Man blieb als Zuhörer hellwach.

Die drei Musizierenden, von denen dabei viel Konzentrationskraft abverlangt wurde, trafen die verschiedenen Charaktere der einzelnen Variationen ziemlich genau. Trotz zügiger Tempi wurde nie auf einen vordergründig virtuosen Effekt gesetzt. Bis ins Detail ging man harmonischen Besonderheiten nach, legte Kanon-Strukturen offen. Es gelang oftmals ein Piano von wunderbarer Schwerelosigkeit.

Das Publikum hatte seine Freude am Spiel der Kammerakademie-Musiker und spendete freundlichen Beifall. Ein bisschen mehr hätte es ruhig sein dürfen.

Klaus Büstrin

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