Kultur: „Herr, schmeiß“ Hirn vom Himmel!“
Wolf A. Fröhlings Buch „Ick ooch. Meine 20 Jahre DDR und die Folgen“ / Präsentation in der Urania
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Zwölf Jahre NS-Herrschaft, sagt Wolf A. Fröhling in seinem gerade erschienenen Erstlingswerk „Ick ooch“, beschäftigen die Menschen nach mehr als 60 Jahren. Wie lange soll es also dauern, bis 40 Jahre DDR aufbereitet sind? Das Interesse an dieser „Ehemaligen“ ist ungebrochen. Sonst wäre es kaum zu erklären, dass bei der Buchpräsentation am Rosenmontag mehr als achtzig Leute in die Räume der Urania kamen, wo die Stiftungsbuchhandlung diese Veranstaltung ausrichtete. Vielleicht war auch der direkte „Potsdam-Bezug“ mit im Spiel.
Der Name Fröhling ist hier noch so gegenwärtig wie all“ die Geschichten um Schüler und Lehrer des Helmholtz-Gymnasiums, staatstreue Matura-Schmiede und Hort für die Klugen der Zukunft in einem. Aber das ist schon eine dieser persönlichen Sachen: Als Sohn eines bekannten Internisten, dazu „kirchlich gebunden“, bedurfte es schon väterlichen Nachdrucks, damit Wolfram, später offiziell zu Wolf verkürzt und mit einem Amadeus verziert, auf die Schule der „Edelhölzer“ durfte. Mit der eigenen Vergangenheit hat der gebürtige Potsdamer eigentlich kein Problem. Kindergarten, Pionier- und FDJ-Mitgliedschaft, Jugendweihe und Konfirmation, Abitur mit dem Berufswunsch Dolmetscher, was ihm „der Staat“ allerdings verwehrte. Er jobbte, 1990 spürte er dann seine Berufung zur evangelischen Theologie. Die erste Pfarrstelle machte ihn mit der PDS-Burg Neuhardenberg bekannt, dann zog er mit seiner „Wessi“-Frau nach Neustadt an die Dosse. Zwei Kinder, aktiver Herta-Fan und Musikkabarettist mit Schwerpunkt Kreisler im Nebenberuf. Soweit das unmittelbar Biographische. Aber das macht noch kein Buch.
Der Titel meint, er sei „ooch“ ein DDR-Bürger gewesen, der Untertitel sagt es genauer: „Meine 20 Jahre DDR und die Folgen“. Als einer, der mitmachte, um „nicht aufzufallen“, schildert er auf ganz persönliche Art, wie seine Sozialisation/Ost verlief. Daraus erwuchsen Einsichten, die als Lebenssichten sogar zum Vergleich mit „Andersdenkenden“ taugen, für DDR-Nostalgiker wie Heinz-Florian Oertel oder Super-Wessis wie Hubertus Knabe. Zum Beispiel, dass „Freiheit“ besser als Diktatur, Demokratie unter allen Ordnungen „das kleinste Übel“ und die wichtigste Erziehung immer noch die elterliche sei. Statt „Wiedervereinigung“ sagt er stets „Anschluss nach Paragraph 23“. Ganz jungen DDR-Fans, welche dies Land selbst nie sahen, empfahl er freilich höheren Rat: „Herr, schmeiß“ Hirn vom Himmel!“ Fröhling betonte immer wieder, es wären seine 20 Jahre gewesen, von denen das Buch erzählt. Er hat mitgemischt, als es hieß, man brauche am 1. Mai „gegen Nazis“ nicht zu demonstrieren, weil es in der DDR keine gäbe, er war Aktivist beim Neuen Forum Potsdam, er besteht darauf, dass da eine „Revolution“ ablief, gleichwohl der Mauerfall sie flugs beendete.
Wie Peter Ensikat bewies der bürger- und parteienbewegte Pfarrer dem Auditorium, dass es eine „ehemalige DDR“ so wenig gegeben hat wie ein „ehemaliges Kaiserreich“, mit dem biblischen Weibe von Lot, dass Nostalgikern und Schwärmern nimmer die Zukunft gehört. Seine Lesung war brillant, die mit bewundernswertem Esprit in nur drei Monaten „Kinder-Auszeit“ verfassten 20 Kapitel lesen sich flott und oft heiter. Der Kern von allem: Die DDR habe ihre Bürger zu Lüge und Doppelzüngigkeit „erzogen“, Wahrheit sei bestenfalls zu Hause möglich gewesen. Gerold Paul
Wolf A. Fröhling „Ick ooch. Meine 20 Jahre DDR und die Folgen“, Dosse Verlag, Kampehl, 13.50 Euro.
Gerold Paul
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