Kultur: Herz massierend
Sommernachtskonzerte im Krongut Bornstedt: József Lendvay und Naked Raven
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Zu Sommernachtskonzerten hatte in diesem Jahr das Krongut Bornstedt wieder eingeladen. Von Nacht konnte aber nicht die Rede sein, denn um 21.40 Uhr war beispielsweise die Veranstaltung am ersten Konzertabend am Donnerstag zu Ende. Kühle durchzog den Körper. Man hoffte, dass das Feuer der Musik erwärmen würde. Der ungarische Geigenvirtuose József Lendvay sollte dafür sorgen. Der Echo-Preisträger aus dem vergangenen Jahr kam mit seinen vier Streicherfreunden nach Bornstedt. Alle fünf Instrumentalisten kennen sich vom gemeinsamen Musizieren in der Jungen Philharmonie, die unter dem Dirigat von Justus Frantz spielt.
„Von Vivaldi bis Czardas“ hieß das weit gefächerte Programm. Und all diese Musik braucht Interpreten, die nicht nur ihr Handwerk beherrschen, sondern auch Ausstrahlung und eine Vielfalt von Raffinesse haben, die sich mit Klangsinn und Beweglichkeit paart. Dies findet man bei Jószef Lendvay allemal. Dazu kommt großes virtuoses Können. Er ist ein Zauberer auf seiner Tesstore-Geige aus dem Jahre 1777. Auch seine Freunde, die auf Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass spielen, sind Instrumentalisten, die kraftvoll musizieren.
Aber an diesem Konzertabend war die tontechnische Übertragung alles andere als erfreulich. Man hatte den Eindruck, dass vor der Pause jegliche Aufmerksamkeit dem Primarius galt. Zwar spielte er ein Solostück, nämlich das virtuose Capriccio von Niccolo Paganini, bei dem ihm natürlich die Beachtung zustand. Doch die Tontechnik hatte anscheinend nicht mitbekommen, dass bei den anderen Werken, die auf dem Programm standen noch andere Instrumente mitwirkten. Vornehmlich die Bassinstrumente mussten im ersten Teil ein Schattendasein fristen. Ein einheitliches Klangbild war leider nicht immer gegeben.
Der Sommer aus Antonio Vivaldis populärstem Violinkonzert-Zyklus „Die vier Jahreszeiten“ und Mozarts galant-heiteres Divertimento in D-Dur waren die bekannten Klassik-Beiträge des Abends. Dann hörte man Walzer, Zigeunermusik, Volksweisen aus Ungarn, Rumänien, Tango und natürlich den Czardas. Hierbei waren die Musiker um Jószef Lendvay ganz in ihrem Element, spielten mit perlender Bravour, viel Sentiment und mitreißenden Tempi. Da wurde es einem wirklich warm ums Herz. Das rund 200-köpfige Publikum, das wie verloren auf dem weiten Platz des Krongutes saß, applaudierte sehr heftig. Klaus Büstrin
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Vielleicht lag es an der Musik, dass der Himmel am Freitagabend über dem Krongut trotz seiner Schlichtheit so interessant war. Blasses Rot zwischen dunklen Wolken, ab und an ein wenig Grau. Und über allem das unentschlossene Blau verwaschener Augusttage. Nichts Spektakuläres. Doch musste man nur lange genug hinschauen und dieses Unaufdringliche, Zurückhaltende entfaltete seinen Reiz. Wie die Musik von Naked Raven.
Konsequenter als die australische Band um Sängerin Janine Maunder hat wohl keiner in den zurückliegenden Jahren das scheinbar begrenzte Reservoir der Ballade im Pop ausgeschöpft. Gemäßigtes Tempo, viel Moll, von Wehmut getragener Gesang und ein paar zurückhaltend agierende Streicher; wer das berücksichtigt, kann nicht viel falsch machen bei den Herz massierenden Up-Tempo-Nummern. Das Problem ist nur, dass oftmals spätestens nach drei Balladen ein gewisses Sättigungsgefühl einsetzt.
Warum dieses Sättigungsgefühl bei der Musik von Naked Raven noch nicht einmal nach gut zwei Stunden einsetzte, ist vielleicht das große Geheimnis dieser Band. Ballade folgte auf Ballade, nur selten unterbrochen von einem kurzen Ausbruch musikalischer Gelassenheit. Ein Konzept das Naked Raven seit 12 Jahren und auf mittlerweile vier Studioalben verfolgen. Vielleicht war es diese klare, fast zerbrechliche Stimme von Janine Maunder, mit der sie über das ewige Drama zwischenmenschlicher Beziehungen sang. Vielleicht lag es an der Violine von Stephanie Lindner, dem Cello von Anne-Christin Schwarz, der Gitarre von Tim McMillen oder dem Schlagzeug on James Richmond, die sich vorsichtig und unaufdringlich in die fein gewebten Lieder legten. Vielleicht lag es aber auch an diesem Gefühl, dass Maunder und Co dort auf der Bühne mit jedem Lied aufs neue ihre Herzen offen legten, ohne einem damit zu nahe zu treten.
Naked Raven wurden nie langweilig. Diese hauchdünne Distanziertheit, eine gewisse Selbstvergessenheit und die ewige Lust, auch der simpelsten, scheinbar schon bekannten Melodie wieder etwas Neues zu entlocken, das ist der kleine aber feine Unterschied, der diese Band ausmacht. Mit Naked Raven ist es wie mit dem Abendhimmel über dem Krongut Bornstedt: Je länger man hinhört, um so mehr entdeckt man in ihrer Musik.
Dirk Becker
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