Von Lena Schneider: Hexenmeister der Mechanik
Das russische Ingenieurstheater Akhe bei Unidram
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Ein Gobo. Das ist nicht, wie der unwissende, erfinderisch gelaunte Zuschauer vielleicht etwas abenteuerlich vermuten mag, ein Fabelwesen aus den Tiefen östlicher Märchengefilde. Ein Gobo ist eine Art Zusatz für einen Projektor, eine Scheibe aus Metall oder Glas, mit der man je nach Beschaffenheit des Projektors Muster, Farben, Worte, Bilder in den Raum – oder besser: an eine Wand werfen kann. „Graphical optical blackout“ heißt das in voller Länge. Ein Gerät also, das Distanzen überwinden und zugleich verdeutlichen kann. Ein raffiniertes Utensil.
Die russische Gruppe Akhe hat die Möglichkeiten des Gobo in seinem Beitrag zum Unidram-Festival nicht nur durchgespielt, sondern zum Thema gemacht. „Gobo. Digital Glossary“ heißt ihr Abend, nach „Plug i Play“ der zweite beim diesjährigen Unidram-Festival. Der Titel ist wohltuend irreführend in zweierlei Hinsicht: Weder sind Gobos die wirklichen Hauptakteure dieses Abends, noch scheint es dem Stück in erster Linie um Digitalität zu gehen. „Gobo. Digital Glossary“ feiert das Mechanische, Manuelle genauso wie das Digitale – wenn nicht noch viel mehr.
Pavel Semchenko und Maxim Isaev, die beiden Darsteller in „Gobo“ und Gründungsmitglieder der Gruppe Akhe, sind das Herz der Aufführung. Keine hippen Programmierertypen in kühl-zeitgeistig postdramatischer Bühne, sondern zwei sehr menschliche, mit ihren Bärten und Ingenieurskutten aus der Zeit gefallene Alchimisten inmitten einer Hexenküche aus Drähten und Seilen, Bunsenbrennern, Videoleinwänden, Staubsaugern und einem Aquarium.
Was dabei herauskommt, ist ein wunderbar zwittriges Gemisch aus Zirkus und Zauberstunde, Performance und Puppentheater, Experimentalfilm und Akrobatik. Der rote Faden ist der „Held“, an dem das Glossar des Titels durchexerziert wird. Allerdings hat dieses Glossar mit Digitalität wenig zu tun, sondern hakt gewissermaßen die Koordinaten des Menschseins ab: innere Befindlichkeiten, äußere Zustände. Auf eine Leinwand projektierte Überschriften gliedern den Abend in verschiedene Kapitel, die etwa heißen: „Des Helden Leere“, „Des Helden Perspektive“, „Des Helden Ausatmen“, „Des Helden Optimismus“ oder auch „Des Helden Einsamkeit“.
Manchmal findet sich eine Verbindung zwischen Bühnengeschehen und Kapitelüberschrift, und – das macht fast noch mehr Spaß – manchmal nicht, oder nur ganz leise. In „Des Helden Traum“ zum Beispiel. Da bindet Pavel Semchenko sich an den Füßen zusammen, zieht sich über eine Art Flaschenzug kopfüber in Richtung Schnürboden, um dann, von der Decke hängend, mit der Stirn die Tischplatte aus Papier zu durchstoßen. Das kann vieles bedeuten oder in seiner akrobatischen Absurdität einfach schön und verwirrend sein – zum Innehalten jedenfalls lässt Akhe keine Zeit. Weiter geht''s zum nächsten Kapitel, „Die Distanz des Helden“. Hier schießen die beiden Darsteller aufeinander ein, nicht mit Theatermunition, sondern scheinbar tatsächlich scharf. Zumindest geht eine Bierdose zu Bruch und sprudelt in einen bereitstehenden Becher. Dazu wird ein Tusch gespielt. Nichts ist hier Zufall. Was nach Unfall aussieht, entpuppt sich als kalkuliertes Zauberwerk, mal mit bestürzendem Effekt, oft lustig, immer beeindruckend in seiner ausgetüftelten Liebe zum technischen Detail. Die beiden Hexenmeister Isaev und Semchenko haben die Szene fest im Griff, schütteln nonchalant immer neue Tricks aus den Ärmeln, immer taumelnd zwischen einer Magie vergangener Jahrhunderte und heutiger Videokunst.
„Russisches Ingenieurs-Theater“ nennt sich die Akhe-Gruppe. Und tatsächlich hat der Abend etwas von einer absurden Nachhilfestunde in Bastel- und Tüftelkunde. Aber viel mehr und wichtiger noch erinnert er in seinem Humor, in seiner verzaubernden Magie, in seiner Spielwut an den Mittelpunkt des Ganzen: an die – hier oft im Wortsinn – „Strippenzieher“ des Abends, die Menschen. In diesem Fall sind es Künstler, die keine Genregrenzen scheuen, um von sich und eigentlich von uns zu erzählen. Ohne viele Worte.
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