FREITAGS: Hingucker
Klaus Büstrin hat nichts gegen den nackten Mann auf dem Friedhof
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An einer Bushaltestelle in Bornstedt ist eine ganz aufgeregte ältere Dame zu hören: „Haben Sie schon den nackten Mann auf dem Friedhof gesehen?“ Der Herr neben ihr verneint. Ihn würden nackte Männer nicht interessieren. „Aber das ist doch der, der auf dem Joopschen Begräbnisplatz auf einer Bank sitzt, ganz aus Stein“, weiß sie weiter zu erzählen. Auch das würde nicht sein Thema sein. Und jeder könne doch schließlich seine Verstorbenen auf einem Friedhof ehren, wie es ihm gefalle.
Doch da irrt er, denn die Friedhofsverwaltungen bestimmen oftmals, wie das Grabdenkmal auszusehen hat. Da herrscht ein strenges Regiment, besonders bei den Grablegen, die einen Denkmalpflegewert haben. Und der Bornstedter Friedhof gehört zu den Arealen, die teilweise unter Denkmalschutz stehen. Die ältere Dame an der Haltestelle bemerkte dann noch, dass sie bei diesem regenfreien Wetter täglich auf dem Friedhof ist, um die Pflanzen der Grabstelle ihres Mannes zu gießen. „Ich gucke mir die Figur jedes Mal genau an. Also dieser Pimmel da. Furchtbar.“
Die Skulptur ist seit einiger Zeit Anziehungspunkt von Betrachtern. Lenné, Persius und andere preußischen Hofbedienstete sind an die zweite Stelle gerückt. Der Modedesigner Wolfgang Joop will mit dieser Plastik, die bisher seinen Garten am Heiligen See schmückte, seinen vor gut einem Jahr verstorbenen Vater ehren. Und die Friedhofsverwaltung hatte gegen die Aufstellung nichts. Diese stille Figur, die die Besucher so in Erregung versetzt, zeigt die Metamorphose des Menschen: Der Kopf eines jungen Mannes geht über in den Körper eines alten Menschen. An den Armen wachsen ihm Flügel. Bereit, zum Himmel zu fliegen. Doch zwischen den Beinen strahlt das männliche Geschlecht empor. Schamlos, wie so mancher Friedhofsbesucher meint. In Bornstedt ist eine solche Gestaltung ein Novum. Auf anderen Friedhöfen in Deutschland sind dargestellte nackte Männer und Frauen des öfteren zu finden, beispielsweise in Ohsdorf bei Hamburg oder auch in Wien.
Hier im Brandenburgischen werden die in Stein oder in Bronze gehauenen Figuren so gestaltet, dass das jeweilige Geschlecht mit einem Tuch bedeckt wird. Aber birgt dies nicht auch eine gewisse Verlogenheit? Im Tod fallen alle Hüllen von einem Menschen ab. Das weiß auch Modedesigner Wolfgang Joop.
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