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Kultur: Historisch gestimmt

Warum nicht auch mal Neue Musik bei den Musikfestspielen? Keine so gute Idee?

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Kaum sind die letzten Töne der „intersonanzen“, des jährlich stattfindenden Festes der Neuen Musik im Land Brandenburg, verklungen und verschollen, hebt schon ein neuer Höhepunkt in Potsdams Kulturleben an: die traditionsbelasteten Musikfestspiele Sanssouci. Unter dem zwielichtigen Titel „Rührt Euch!“ arbeitet man sich nun zwei Wochen lang an dem 300. Geburtstag des zweiten Hohenzollern-Riesen heran. Ganz seriös und redlich, es geht wohl nicht anders. Graun und Händel, Bach und Hasse, Telemann und Vivaldi – wer zählte noch Namen! – sie alle geben sich an mehr als 30 Originalschauplätzen die Ehre. Zwar wird man für alle, die es etwas jünger mögen, im Holländischen Viertel ein Druckluftorchester, am Brandenburger Tor einen Kunstpfeifer postieren – auch „Jazz in the Garden“ sollte nicht ganz ohne sein – aber trösten solch tetzelnde Marginalien wirklich?

Das ganze Jahr in Potsdam ist ja hauptsächlich von dieser Musik geprägt. Von Namen wie Graun und Händel, Bach und Hasse, Telemann und Vivaldi, von Mozart, Beethoven und Schubert. Wo bleiben aber da die Neutöner aus dem Hause „intersonanzen“ im Potsdamer Musikgeschäft? Kein so gutes Ideechen? Sind sie wirklich so ungenießbar, wie jene, die man zahlungskräftigen Gästen unter dem Titel „Diplomaten-Diner“ als besonderes Menü derzeit bei den Musikfestspielen empfiehlt? Diplomaten schmecken doch bekanntlich nach nichts.

Das Titelblatt vom Programmheft zeigt die Richtung an: Rühren und gerührt soll man sein, wenn Potsdam zum Thema „Friedrich der Große, die Musik und Europa“ lädt. Dem Schwarzen Adler-Orden darunter ist sogar seine Inschrift „suum cuique“ (Jedem das Seine) geraubt, um Platz zu machen: Für den Menschen im König, für das kunstsinnig puckernde Herz im Reiche Preußen, für die rührenden Schwächen all unserer Vorfahren. Wer so geistvoll der musica pflegt, kann gar kein Schlechter gewesen sein, weder auf der Traversflöte, noch auf dem Schlachtfeld der Ehre. Da geht man für geneigte Ohren und Herzchen besser kein Risiko ein, vor allem kein rezeptives. Angesichts der hyperdominant historischen Aufführungsstils fühlt man sich an ein Wort von Heiner Müller erinnert: „Ein immer noch strahlendes Material wird mit Patina überzogen, um die Struktur zu konservieren, die es einmal gesprengt hat“.

Ist es Angst, das finanzielle Gleichgewicht zu verlieren? Oder Potsdams Ruf als aufgehübschte Barockstadt mit Bach, Graun und Benda? Oder die zahlungskräftige Kundschaft? Wo bleibt eigentlich das so prominent angekündigte „Friderisiko“ auch bei den Musikfestspielen? Alles nur eine Haltungsfrage. Das Bürgerherz liebt nun mal die Harmonie, man siehts ja daran, was derzeit in Potsdam aufgebaut, und was abgerissen wird. Nach Andrej Tarkowski leben wir ja ohnehin „in einer Welt von Vorstellungen, die wir uns selber schaffen“. Ein Gläschen Königswasser zum Anstoßen gefällig, die Majestäten?

Die „intersonanzen“ mit ins Boot zu holen, wäre eine andere Haltung gewesen. Dieses Festival, das für nur wenige Tage, und da fast immer auch von den meisten unbemerkt, für andere Klangfarben in dieser Stadt sorgt. Zumindest hätte man sich mal ins Benehmen setzen können, schließlich repräsentieren sie nicht nur die Neue Musik im Land Brandenburg. Da wäre, wie der Veranstaltungsteil „Blech und Trommel“ zeigte, auch kritisch-rezeptiv so manches zu holen gewesen, „Big Fritz (Henry Mex)“ oder „vor & zurück. ohne nachschub ist keine armee tapfer“ von Susanne Stelzenbach zum Beispiel. Als Eröffnung zur gepflegten und hochkarätig besetzten Klassik böten sich die frisch komponierten Fanfarenklänge von Hubert Kross an, Albert Breiers „Preußischer Totenmarsch“ würde sich für jeden Programmpunkt eignen, sogar fürs „Diplomaten-Diner“! Doch wer von Potsdams großen Musikveranstaltern hätte bei den „intersonanzen“ schon mal Zaungast gespielt, so von Kollege zu Kollege, und rein studienhalber?

Niemand würde geferdert und geteert, der solch aktuelle Schmankerl ins historisierende Repertiore hineingebracht hätte. Es wäre nur ein Stückchen mehr Potsdam gewesen, anno „Friderisiko“. So aber darf jeder dahergelaufene Fremde die Kultur der Stadt des Spruches „Rückwärts immer – vorwärts nimmer“ zeihen. Als sei Potsdam völlig von Gestern. Das will doch wohl keiner, oder?

Gerold Paul

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