Kultur: Hohle Blasen, Affären und wilde Lästerei
„Kunstverein“-Persiflage im „nachtboulevard“
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Was in den Kunstbetrieb kommt, muss sich gefallen lassen, als Kunst betrachtet zu werden. Und so liefert Michael Schrodt, Ensemblemitglied des Hans Otto Theaters, der am Samstagabend in der Reihe „nachtboulevard“ die Rolle des Herrn Bader in der Persiflage „Kunstverein“ spielt, unbewusst das Stichwort des Abends: Was will uns der Künstler mit seinem Werk sagen, was ist seine Intention?
Der Künstler ist in diesem Fall der Autor Tobias Schwartz, der bereits in Berlin und Potsdam inszenierte und nun mit dem Stück „Kunstverein“ einen kritischen Blick hinter die Kulissen des Kulturbetriebes wirft. An den Anfang setzt Schwartz einen Bernhard-Text. Der erzählt über einen eigenwilligen Autor, der ein Stück schreibt, das er nur einmal aufführen wird, im seiner Meinung nach besten Theater der Welt, mit den besten Schauspielern und dem besten Inszenator. Dieser eigenwillige Autor selbst positioniert sich vor der Aufführung mit dem Maschinengewehr, um all jene Zuschauer zu erschießen, die an der falschen Stelle lachen. Den Text über solch subjektive Willkür liest Juliane Götz aus dem Off, mit roter Lederjacke und schriller Sonnenbrille verkleidet, per Videosequenz auf die große Leinwand der Bühne übertragen. Auf der stehen ansonsten nur zwei Bilder, Kunstwerke einer geplanten Ausstellung, von einem Künstler, dem es gilt, eine Rede zu halten.
Diese Rede wird von Schuldirektor Schulte (Jon-Kaare Koppe) verfasst werden, der Mitglied eben jenes Kunstvereins ist, zu dem auch das Paar Theben (Melanie Straub, Florian Schmidtke) und das Paar Bader (Michael Schrodt, Franziska Melzer) gehören. Diese Fünf stehen also jetzt am Bühnenrand. Sie kämpfen linkisch mit Notenständern, auf denen sie ihre Textblätter ablegen, mit deren Hilfe sie in der nächsten Stunde hohle Blasen über Kunst und Musik (Mozart und Schönberg!) fabrizieren, sich über Kindererziehung streiten oder mit dem eigenen Bildungsweg brüsten, der selbstverständlich über Göttingen, Tübingen oder Heidelberg lief. Schnell kristallisieren sich die unterschiedlichen Charaktere heraus, die von der Streberin über den Besserwisser bis zum sympathisch naiven Ehemann reichen.
Geschickte Szenenwechsel, in denen dem Zuschauer durch die gleiche Gruppe, die interessiert von Bild zu Bild schlendert, eine lebhaft besuchte Ausstellung suggeriert wird, produzieren immer neue Konstellationen, die hinter die Fassaden der Hauptfiguren schauen lassen, Affären aufdecken und wilde Lästereien offenbaren, die vor allem ein Ziel haben: Schulte. Der hat tatsächlich keine Ahnung von Kunst, laviert sich so durch mit geklauten Schlagworten wie „Tradition“ oder „interessant, wirklich interessant“.
Dem Zuschauer wird schnell klar, dass dieser Mann ohne Kunstverstand eigentlich nur einsam und unzufrieden ist, dass die Paare an ihren Fassaden arbeiten, in Verbindungen gefangen sind, die sie eigentlich verabscheuen, dass hier vielleicht Liebe möglich ist, dort eher nicht. Herrlich herausgearbeitet auch durch die außereheliche Beischlafszenen, die so komisch wie traurig sind: zweimal zwei Schauspieler, die, das Textblatt in der Hand, starr in den Zuschauerraum blickend, ruppig hier, beinahe liebevoll dort, aber irgendwie trocken – „ja, ja, ja, oh“ – den Akt vollziehen.
Der Bruch kommt plötzlich und unerwartet. Juliane Götz taucht jetzt in der Person des jüngsten Gerichts auf, erneut mit roter Lederjacke und Sonnenbrille verkleidet, den Colt in der Hand. In Slowmotion geht sie durch die Zuschauer hindurch, geradewegs auf die Bühne zu, auf der die fünf Schauspieler, ebenfalls in beeindruckender Slowmotion, mit angstvoll geöffneten Mündern umhertaumeln.
Und hier hätte es den Cut geben sollen! Stattdessen folgen zehn wirre, schnelle Minuten voller Anklage und Drohungen, in denen sich die Figuren unter Druck und Angst ihre Affären, die der Zuschauer doch längst kennt, gestehen. Sie bewerfen sich verbal mit Dreck und Schmähungen, sprechen von Scheidung und als Misses „L“ mit der Handkamera ins Spiel kommt, die all den Schmutz gerade live ins Fernsehen überträgt, beschließen sie eine öffentliche Hinrichtung Schultes.Und dann? Kommt die Angst vor der eigenen Courage, ruft man leise „Nein“ und ist froh, dass der Colt, der Schulte an den Kopf gehalten wird, nicht geladen ist und sich die Situation wieder entspannt, Die Paare gehen, die Frauen voran, die Männer folgend, in neuer Freundschaft ab. Nur Schulte bleibt einsam zurückAndrea Schneider
Andrea Schneider
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