Kultur: Hölderlin als Stunt-Show
Hyperion im Gasometer des Hans Otto Theaters
Stand:
Einzig Helm und silberner Schlüpfer kleiden Moritz Führmann, wie er in zwanzig Meter Höhe auf dem Dachsims des Neuen Theaters sitzt. „Strebt nicht in diese Höhen hinauf!“, ruft sein Hyperion warnend in das dunkle Rund des Gasometers hinein. Dort sitzen fünfzig Premierengäste im Sprühregen, dessen feine Gischt im Spotlicht funkelt, das den „Eremit in Griechenland“ da oben wie einen Hochseilartisten ausleuchtet. Und tatsächlich: Mit einer dicken Seilwinde gesichert, lässt sich Führmann hinab in den Kraterschlund. Seine Füße laufen die Senkrechte ab und erzeugen kurz die Illusion, die Achsen der Welt wären verkehrt worden. Der junge Mann, der die Dissonanzen des Krieges und der Liebe erlebt hat, geht in der Waagerechten, während die Perspektive des Publikums auf dem Kopf steht.
Ein starkes, Mut forderndes Bild, mit dem die dramatische Bearbeitung von Friedrich Hölderlins Briefroman beginnt. Die Welt scheint aus den Angeln gehoben. Das Turmhafte und Hermetische des Rundbaus ein sinniger Verweis auf den Hölderlinturm in Tübingen, in dem der berühmte Dichter (1770 - 1843) seine letzten vierzig Jahre im Zustand des Wahnsinns gelebt haben soll.
Doch die viel versprechenden Spannungen und Korrespondenzen zwischen dem ungewöhnlichen Ort und dem hochartifiziellen, metaphysischen Text fallen im Verlauf der Inszenierung von Andrea Conrad mehr und mehr zu Gunsten eines aus Effekten gezimmerten Bildes ab. Zur Technikshow eines von Hebebühnen und Seilen getragenen Dauerstunts.
Da erscheint ein weißes Piano in der Öffnung des Bühnenfahrstuhls, Projektionen von Schutt und Trümmern werden aufgeboten. Und Führmann muss sich wieder in rote Sicherheitsriemen einfädeln, um hoch oben auf dem Rondell seine Verse hinab zu rufen. Das alles geht auf Kosten des Urtextes und seiner ziemlich vertrackten Bedeutung. Hölderlins Hyperion ist so ungeeignet wie wenige Denkmale deutscher Dichtkunst, durch eine dramatische Umsetzung gestürmt zu werden. Die leise Schönheit, ja ätherische Qualität dieser introspektiven Prosa muss verloren gehen, wenn sie aus grün erleuchteten Fenstern im dritten Stock oder quer über den Hof geschrieen wird. Nur Moritz Führmann und die etwas verssteifere Sabine Scholze als Hans-Otto-Theater-Profis können unter diesen Bedingungen der Sprache zu einer Melodik verhelfen. Der Rest, ein sich expressiv nach Art des Vorstadt-Bewegungstheaters auf die Bühne schlängelnder Chor aus Laien, rezitiert genauso unbewegt wie Abiturienten vor dem Prüfer.
Publikum und Protagonisten sind ohnehin räumlich so weit von einander entfernt, dass innere Regungen gar nicht erkennbar wären. Das alles kommt einem Verbrechen gegenüber einem Text gleich, der aus reinster Feinfühligkeit besteht. Die Intimität der Gedanken wird in eine blecherne Arena getrieben, wo wehrlose Worte, die für den Kampf auf einer Bühne nie im Ausbildungslager gewesen sind, an die kalten Stahlwände geklatscht werden und in deren Hall versterben.
Übrig bleibt ein Geschnetzeltes aus Aphorismen und wohlklingenden Zitaten, die ohne Zusammenhang in jenem salbungsvollen Ton deklamiert werden, der allen besonders von Ambition geprägten Projekten eigen ist. Worte wie „O ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt“ oder die berühmte Passage gegen die Deutschen sind zwar so ihrem Sinn beraubt, klingen aber immerhin gewichtig und bedienen eine vage Globalkritik an Zivilisation, Krieg und dem politischen System. Das kommt immer an.
Die Gasometerfassung von „Hyperion – der Eremit in Griechenland“ funktioniert nicht als Theater und schert sich nicht um Dichtung. Man könnte es deshalb auch Action-Theater mit hohem Eventcharakter nennen.
Weitere Vorstellungen: 5. und 6. Juli, 22.30 Uhr.
Matthias Hassenpflug
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