Kultur: „Holzfällen“
Sturm und Stein begeisterten im T-Werk
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Sturm und Stein begeisterten im T-Werk Auf einem Ohrensessel sitzend, blickt ein Mann in das Musikzimmer der Eheleute Auersberger. Diese haben zu einem „künstlerischen Abendessen“ geladen und der Erzähler wird nicht müde zu bekräftigen, wie er es bereut, der Einladung Folge geleistet zu haben. Mit Champagner hat er sich „betäubt“, um die Veranstaltung halbwegs erträglich zu machen. Jetzt zieht er über die scheinheilige Gesellschaft der Künstler und Kunstliebhaber her, die das Eintreffen des Burgschauspielers, dem Ehrengast des Abends, sehnlichst erwartet. In einer Spirale steigert sich der Erzähler von Verachtung in eine hasserfüllte und gehässige Tirade gegen alles und jeden. Thomas Bernhards 1984 erschienenes Buch „Holzfällen. Eine Erregung“ sorgte für einen der größten Literaturskandale Österreichs. Der Kärtner Komponist Gerhard Lampersberg und seine Frau erkannten sich im Ehepaar Auersberger wieder, fühlten sich diffamiert und klagten erfolgreich für ein Verbot des Buches in Österreich. Die Schauspieler Dominik Stein und Timo Sturm lasen am Sonntagabend im T-Werk das wortwitzige Werk. Wie man es von Sturm und Stein gewohnt ist, ging der Vortrag natürlich über das pure Lesen hinaus. Wild gestikulierend, auf ihren Hockern hin- und herrutschend, steigern sie sich zusammen mit dem Erzähler im Buch in die manischen Schelten und Spitzen gegen die „Wiener Gesellschaftshölle“. Das Thema ist dabei weniger düster, wie es zunächst erscheint. Die Schauspieler transportieren die bissigen, sarkastischen Gedanken amüsant und führen die Zuhörer durch die „Körper- und Geisteskrämpfe“ des Protagonisten. In einer nicht enden wollenden Kreisbewegung wettert der Erzähler gegen das Wiener Burgtheater („Dichtervernichtungs- und Schreianstalt der absoluten Gehirnlosigkeit“), die katholische Kirche und reflektiert am Ende seinen eigenen Standpunkt in der verachteten Gesellschaft. Laute Lacher und anhaltendes Gekicher im Publikum bezeugen den hohen Unterhaltungswert der Veranstaltung. Sturm und Stein nehmen die seitenlangen Schachtelsätze Bernhards auseinander, fallen sich gegenseitig ins Wort und bereichern den Vortrag mit ihrer mitreißenden Dynamik. Am Ende bleibt dem Erzähler nur die gefühlsmäßige Kapitulation vor der Hass-Liebe zu Wien und seinen Bewohnern: „Ich dachte während des Laufens, dass diese Stadt, durch die ich laufe, so entsetzlich ich sie immer empfinde, immer empfunden habe, für mich doch die beste Stadt ist, dieses verhasste, mir immer verhasst gewesene Wien, mir auf einmal jetzt wieder doch das beste, mein bestes Wien ist und dass diese Menschen, die ich immer gehasst habe und die ich hasse und die ich immer hassen werde, doch die besten Menschen sind, dass ich sie hasse, aber dass sie rührend sind.“ Minutenlanger Beifall bekundet den Dank des Publikums an Sturm und Stein. Dank dafür, dass sie ein literarisches Meisterwerk wieder einmal meisterlich in Szene gesetzt haben. Christoph Henkel
Christoph Henkel
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