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Kultur: Hungrig nach großen Zielen

Premiere von „Jugend ohne Gott“ von Ödön von Horvath am Hans Otto Theater

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Dieses Kriminalstück zieht hinab in die Abgründe seelischer Verwerfungen. „Wie ein Raubvogel zieht die Schuld ihre Kreise“, schrieb Ödön von Horvath 1937 in „Jugend ohne Gott“, in dem es um die ideologischen Zustände kurz nach der Machtübernahme Hitlers geht. Antiheld dieses Romans ist ein Lehrer, der als Ich-Erzähler durch die Handlung führt. Und die beginnt, als einer seiner Schüler in der Klassenarbeit schreibt: „Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul“. Als der Lehrer ihn zur Rede stellt, stößt er auf eisige Ablehnung der gesamten Klasse. Er bekommt Angst, dieser Lehrer, Angst, seinen Lebensunterhalt zu verlieren. Erst nach einer Osterfahrt, bei der die Schüler begeistert kämpfen und schießen lernen und auf der es zu einem Mord kommt, tritt er für seine moralischen Werte ein, wenn auch nur zögerlich. Alle werden nach dieser Tat wieder auf sich selbst zurückgeworfen: Schüler wie Lehrer, die zuvor das eigenständige Denken fast aufgegeben hatten. „Wenn kein Charakter mehr geduldet wird, sondern nur der Gehorsam, geht die Wahrheit, und die Lüge kommt“, schrieb Horvath in „Jugend ohne Gott“, das nach seinem Erscheinen in Amsterdam in acht Sprachen übersetzt wurde. Auf Antrag der Gestapo kam es 1938 auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“.

Er hatte dieses Buch aus seiner Schulzeit einfacher, ordentlicher in Erinnerung, sagt Alexander Nerlich in der Probenpause. Der 33-jährige Gastregisseur hat diesen packenden brüchigen Text im Auftrag des Hans Otto Theaters für die Bühne dramatisiert und bringt ihn am morgigen Freitag zur Premiere. „Meine Fassung wurde geduldigst vom Ensemble mit abgeklopft. Wir haben gemeinsam erarbeitet, was spielbar ist und was nicht“, sagt Nerlich, der bereits zwei Regiepreise erhielt, begeistert über das Mitziehen der Schauspieler. Die Inszenierung werde nicht die äußere Handlung nur nachbeten, betont er. „Es muss schleifen, quietschen, Sand im Getriebe sein. Der Zuschauer soll verführt werden zu Fragen und konfrontiert werden mit falschen Antworten.“ Das Berührendste in dem Stück sei für ihn, dass der Lehrer, dieser Verlierer der neuen Zeit, den Versuch unternehme, etwas zu wagen. „Schade nur, dass er sich nicht radikalisiert.“

Nerlich, der in Reinbek bei Hamburg geboren wurde, interessiert diese Übergangszeit Anfang der 30er Jahre: die Begegnung mit neuen fremden Regeln und Gefahren, mit Denunzianten. „Alles war noch in Prägung.“ Vor allem die Entfremdung der Kinder von ihren Eltern werde vorgeführt. „Die Nazis wollten die absolute Erziehungsgewalt.“ Er weiß um den großen Wert des Rückzugsortes Familie und konnte sich selbst immer darauf verlassen. Auch er hat sich als Jugendlicher auf waghalsige Unternehmungen eingelassen, um zur Clique dazuzugehören, auch mal ein Ei auf Helmut Kohl geworfen. Aber es sei nie zur Sprachlosigkeit gekommen, die es in vielen Familien gibt, wo Eltern ihren Kinder nicht zuhören. „Und das in einem Alter, wo sie orientierungslos sind, auf der Suche nach Werten. Was passiert, wenn Sinnsucher auf Sinnstifter treffen, die ihnen das scheinbar richtige Weltbild vermitteln? Wie schnell kann sich da Ideologie entfalten.“ Und das sei an diesem Abend zu erleben. „Wir sehen eine Jugend, die hungrig ist nach großen Zielen.“

Premiere am Freitag, dem 30. November um 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse

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