zum Hauptinhalt

Kultur: „Ich atme die Welt ein ...“

Barbara Thalheim sang in der Bibliothek Lieder ihrer CD „Insel sein“

Stand:

Barbara Thalheim sang in der Bibliothek Lieder ihrer CD „Insel sein“ Von Antje Horn-Conrad „Was fang ich an in diesen Jahren, die nicht die ersten besten Jahre sind“. Als Barbara Thalheim das sang, in der stehenden Endzeit jenes Landes, dessen drei Buchstaben ihr nicht über die Lippen kommen, da war sie schon infiziert von der Angst, es könnte die Zeit vergehen ohne Veränderung. Inzwischen ist ein weiteres großes Stück Leben gelebt. Veränderungen gab es wohl, aber noch immer wollen ihre langen Haare nicht so wie der prinzipienlose Wind. Noch immer reibt und quält sie sich an den Dingen. „Ich atme die Welt ein und als Lied wieder aus“. Das hat sie für ihr Publikum über drei Jahrzehnte so unverzichtbar gemacht. Nur in den Wendejahren, da fehlten auch ihr die Worte, wie wohl jedem, der seinen Hals nicht verdrehen konnte und die schnellen Antworten nicht parat hatte. Sie ging fort nach Frankreich, glaubte, nie wieder etwas zu sagen zu haben, wollte kein einziges Lied mehr singen. Die Ferne aber weitete den Blick. Vielleicht auch provozierte sie die Schar junger französischer Chansonniers, die sich zu träumen trauen, viel wilder, offener, als hier zu Lande. Die Sängerin kehrte auf die Bühne zurück. Am Freitag sang sie in der Stadt- und Landesbibliothek die Lieder ihrer jüngst erschienen CD „Insel sein“, begleitet von Jean Pacalet am Akkordeon, jenem Instrument, das Barbara Thalheim vom Eindruck musizierender Rennsteigwanderer lange verhasst war. Pacalet aber, der am Moskauer Konservatorium klassisches Akkordeonspiel studierte, ein neues Instrument für neue Kompositionen konstruierte, Pacalet nahm sie mit in völlig andere Klangwelten, wie die am Freitag gehörte „Paysage sur la mer“, die „Landschaft unter dem Meer“. Ähnlich wie das Streichquartett aus früheren Jahren unterstützt sein Spiel die typischen Wendungen in Thalheims Liedern, das Umschwenken in der Stimme vom vorsichtigen Fragen zum kraftvollen Ausruf, wenn sie sich ihrer Sache sicher ist. Wach und dünnhäutig Barbara Thalheim ist unduldsamer geworden, verlangt anderen unmissverständlich ab, was sie sich selbst zumutet: eben nicht die Augen zu verschließen, wach und dünnhäutig zu sein, nicht zu verdrängen, zu vergessen. „Ohne Herkunft keine Zukunft“ zitiert sie Richard von Weizsäcker und besingt Biografien in deren gesellschaftlichen Verwicklungen. Das Land aus dem sie kommt, nennt sie lakonisch „die Tätärä“ und nimmt doch ernst, was die Menschen einst darin wollten. Keine Spur von Nostalgie, kein Gejammer. Glasklar sieht sie die Wirklichkeit. Im Lied über ihre Generation, die „Hineingeborenen“, besingt sie jene, die „vom Mund in die Hand leben“, die nichts haben, sondern sein wollen. Singt von all den Laub fegenden Soziologen und putzenden Dramaturgen, die des Nachts am Prenzlauer Berg sinnlos im Café „Sinnlos“ verweilen, „für nichts gebraucht, aber für alles verbraucht“ – die letzten „Indianer aus dem Beitrittsland, mit roter Haut und Feuerstein“. Im Zwiegespräch mit dem traurigen Heinrich Heine fragt sie, was es bedeuten soll, dass auch sie so traurig ist. Das Märchen aus alten Zeiten, der Traum vom Himmel auf Erden, der Utopie vom gleichen Glück für jedermann, die der Realität so fern ist. Was tät sie nicht alles für einen Neubeginn, wohl wissend, dass folgenlos bleibt, was auch immer sie sagt und schreibt, worüber sie sich öffentlich empört. Wieder ist da die Sehnsucht nach Veränderung. Aber „Das Leben verrinnt unaufhaltsam / sagt Kinderträumen adé / Es macht uns erwachsen gewaltsam / und weil es so spät ist, tut''s weh“. Die Kälte der Freiheit erscheint ihr manchmal gesund. Wie viel Kühlsein aber erträgt der Mensch, fragt sie in einem anderen Lied. Wann schließt es uns zu? Auf ihrer ersten Platte wünschte sich Barbara Thalheim in die Höhle aus Kindertagen zurück, wollte einen kleinen Teil der Erde für sich haben, einen Schutzraum für das eigene Ich. Heute ist sie dieser Teil selbst, eine Insel, Zufluchtsort und Ankerplatz für jene, die sich und die Welt wie sie selbst befragen.

Von Antje Horn-Conrad

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })