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Junges Jazz-Genie: „Ich brauche diesen Druck“
Moses Yoofee Vester lädt ein zu „Jazz oder nie!“: Am Samstag gibt der 14-jährige Potsdamer ein Konzert im Foyer des Nikolaisaals. Sein Traum ist aber eigentlich die Bühne des Nikolaisaals.
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Dieser Sonntag in der „fabrik“ hat sich eingebrannt. Die Familie versammelt sich zum Jazzbrunch und hört beim Erzählen und Brötchenkauen im Hintergrund die Musik der drei swingenden Herrn. Plötzlich steht ein Dreikäsehoch vom reich gedeckten Nachbartisch auf, begibt sich schnurstracks zum Klavier und setzt sich nach kurzer Absprache zu dem Pianisten. Nun improvisieren sie gemeinsam wie von einem unsichtbarem Band vereint. Das Essen ist vergessen, alle Konzentration der Lunchgemeinde richtet sich auf dieses kleine Ausbund an Talent und Fantasie, das völlig unaufgeregt dem Erwachsenen musikalisch Paroli bietet. Ja, schließlich bestreitet dieser Junge mit den dunklen wilden Locken allein aus sich selbst und dem Moment heraus ein virtuoses Überraschungsständchen.
Vier Jahre mag diese Jazzbrunch-Wunderstunde her sein. Inzwischen ist dieses Naturtalent 14 Jahre alt und bereits Student. Jungstudent, wie es richtig heißt. Moses Yoofee Vester besucht seit drei Jahren das Musikgymnasium „Carl Philipp Emanuel Bach“ in Berlin, ein Ableger der Hanns-Eisler-Musikhochschule. Dozenten dieser Hochschule fördern den Begabtennachwuchs in der Außenstelle im Prenzlauer Berg. Der Lehrer von Moses Vester heißt Wolfgang Köhler. Und so wie dieser berühmte Jazz-Pianist möchte auch der Schüler einst die Konzertsäle füllen. Dafür geht er täglich schon kurz nach 6 Uhr aus dem Haus und ist mitunter erst um 22 Uhr wieder zurück in Potsdam. Ja, es ist anstrengend, wenn man ganz nach oben will. Und man merkt es dem jungen Mann durchaus auch an, dass er an diesem Pensum zu knabbern hat. Leichte Schatten liegen unter den Augen, es fällt ihm zunehmend schwer, sich auf dieses Gespräch am frühen Abend im „Melodie“-Café zu konzentrieren.
Aber dieser Jazzer hat sein Ziel, seinen Traum. Und für den will er leben. Immer wieder sieht er in Gedanken einen großen Flügel vor sich. Früher in Weiß, inzwischen in Schwarz. Der steht auf der Bühne des Nikolaisaals. Und Moses Yoofee Vester setzt sich ganz allein an die Klaviatur und zieht mit seinem Solospiel das Publikum in den Bann. Als er seiner Mutter, der Künstlerin Patricia Vester, von diesem Traum erzählte, sagte sie nur: „Na, dann geh doch zum Nikolaisaal und frage nach“. Der ziel- und selbstbewusste Sohn zögerte keine Minute. Er spielte vor und bekam eine Zusage. „Leider nur für das Foyer“, wie er etwas unbefriedigt einräumt. Aber immerhin, ein wichtiger Schritt hin zum ganz Großen. Ja, der Nikolaisaal mit seiner tollen Akustik soll es irgendwann sein. Oder die Berliner Philharmonie. Auch dort gab er bereits eine Kostprobe seines beseelten Spiels: hochkonzentriert und zugleich von fingerflinker Lockerheit. Mit keinem Geringeren als Chick Corea, dem 71-jährigen Jazzmatador aus Massachusetts, saß er im Juni 2012 am Piano. Moses wurde zufällig aus dem Publikum herausgefischt, nachdem sein Arm sofort in die Höhe schnellte, als Chick Corea dieses Intermezzo mit einem Zuschauer angeboten hatte. Wie souverän sich Moses Vester dabei schlug, zeigt auch ein Video auf Youtube. Mit begeisterten Bravorufen kehrte der Junge an seinen Platz zurück. „Wir haben mal eben so improvisiert und Hammer gespielt“, erinnert er sich begeistert. Es ist diese Euphorie, die ihn immer wieder treibt.
Während seines bereits seit Langem ausverkauften Konzerts „Jazz oder nie!“ im Foyer des Nikolaisaals am jetzigen Sonntag wird man ihn nicht nur spielend, sondern auch erzählend erleben. Moses Vester bietet eine selbst zusammengestellte Reise durch die Geschichte des Jazz: vom Gospel über Blues, Swing, Bebop bis zum Modern Jazz, Nu Jazz und Jazz Rap. Dazu suchte er sich bekannte Titel heraus, die die Entwicklung sinnfällig und leicht zugänglich werden lassen. Die Musikstücke untersetzt er mit Anekdoten ihrer Entstehung. Die Bitte, bereits eine zum „Anfüttern“ preiszugeben, wehrt er rigoros ab. Dieser Jugendliche weiß, was er will – und auch, was nicht. Die Stories, die er aufgegriffen und nachgelesen hat, versteht er als Hintergrund zur Musik. Allein sind sie nicht zu haben. Na dann. Also abwarten bis zum Konzertabend. Lampenfieber? Nein. Das hat er selten. „Mittlerweile habe ich schon so viele Konzerte gespielt, dass ich nicht mehr aufgeregt bin.“ Und für das jetzige hat er ohnehin Heimvorteil: mit fünf „supercoolen Musikern“, darunter sein Vater, und zwei Visuals Artists, die er sich dazu ausgesucht hat.
Der eifrige Student sucht überall Inspiration. Ständig nimmt er an Meisterkursen teil und fliegt mit Mutter oder Großmutter mal schnell zu Konzerten nach Paris oder Wien. Letztes Wochenende war er bei Keith Jarrett in London. „Ich bin sein größter Fan.“ Zunehmend geht er auch in Jazzklubs und hört ganz genau hin. „Ich lerne mehr vom Zuhören als vom Üben“, meint er. Vielleicht ist das auch eine Art Besänftigung, wenn er nicht wie die meisten anderen aus seiner Klasse die Ausdauer zum ewig langen Üben aufbringt. Zwei, drei Stunden am Tag, manchmal gar nicht. Dann wieder überfällt ihn kurz vor dem Schlafengehen noch ein Kreativitätsschub. Und morgens fällt es ihm dann schwer, aufzustehen. „Er schätzt ganz klar seine Situation ein“, sagt die Mutter, die natürlich will, dass er glücklich und nicht frühzeitig ausgebrannt ist. „Aber da die Musik sein Leben bestimmt, helfe ich ihm, diese Leidenschaft zu leben. Ich weiß, dass er konsequent ist und stark sein kann, auch einen Riesenehrgeiz hat.“ Sie ist seine Sekretärin, macht für ihn die Termine. „Obwohl er das durchaus auch selbst könnte“, was man ihr sofort abnimmt. Denn dieser junge Mann tritt souverän auf. Gelassen und mit ganz klaren Prioritäten. Seine Mutter sucht inzwischen nach einem Manager für ihn, „aber es ist schwer, jemanden zu finden, der ihn fördert und zugleich das Kind mitnimmt. Also das ganze Paket.“ „Kind? Ich bin Jugendlicher!“ hält Moses sofort dagegen. Ja, Mutter und Sohn – das ist im Moment schwierig. Die Pubertät ist dazwischen. Der ganz normale Abgrenzungs- und Findungsprozess.
„Moses war und ist ein ganz normales Kind, das derzeit eben rebelliert und auch Blödsinn macht. Und lernen muss, dass Qualität etwas erfordert“, wie die Mutter einwirft. Moses spricht indes von dem großen Druck. „Es ist wirklich anstrengend den ganzen Tag mit all den verrückten Leuten. Aber ich habe Lust darauf. Und ich brauche diesen Druck. In der Musik kann man nie aufhören zu lernen.“ Zum Ausgleich spielt er mit den Kumpels Basketball und Fußball. Und wenn er früher als die anderen nach Hause muss, weil das Klavier wartet, das für ihn seit seinem dritten Lebensjahr fester Partner ist, haben sie durchaus Verständnis. Für große Träume muss man eben auch verzichten können.
Sonntag, 24. März, 18 Uhr. Nikolaisaal-Foyer, Wilhelm-Staab-Straße 10/11
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