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Die Potsdamer Oxymoron Dance Company zeigte ihr Stück I wanna die for you.

© Manfred Thomas

Von Gerold Paul: „Ich esse Dein Herz, Iason!“

Anspruchsvolles und Sehenswertes bei der Langen Nacht der Freien Theater im T-Werk

Stand:

Langweilig war die „5. Lange Nacht der Freien Theater“ Brandenburgs am Sonnabend nun wirklich nicht, auch wenn sie erst zu Mitternacht mit einem gehörigen Feuerspektakel im liebevoll aufgemotzten Schirrhof endete: Bäume in Töppen, Essen und Trinken für jeden Geschmack, Liegestühle der Marke „Malibou“ und anderes niederes Sitzgerät, wohlduftende Feuerkörbe – und natürlich jede Menge Theater auf den beiden Bühnen vom T-Werk.

Neun Freie Theatertruppen hatten sich bereit erklärt, den etwa dreihundert Zuschauern neue Produktionen in Ausschnitten von etwa dreißig Minuten vorzustellen. Gratis! Die lange Nacht der kurzen Stücke war bis auf Restpöstchen ausverkauft, kuschlig eng die Eröffnung, wohlgeordnet das Offizielle, von Johanna-Wanka-Vertreter Hajo Cornel vorgetragen. So viel wurde aus seiner gründlichen Rede klar: das Kulturministerium wird die Freien Theater zukünftig mehr unterstützen wollen, die dazu gehörige Stellenfinanzierung werde auch schon geprüft. Bis zur einer Parlamentsdebatte sei es allerdings noch etwas hin, „wir arbeiten daran“, so die Botschaft zur Aufwertung der Freien im Lande.

Aber was wird da eigentlich unterstützt? Dinge, die ordentliche Ausschüsse und kulturpolitische Kamingespräche unmöglich klären könnten. Aber zum Glück verirren sich programmatische Sätze wie „I wanna die for you“ (Oxymoron, Potsdam) oder „Ich esse dein Herz, Iason!“ (aus „Medea“, Frankfurt/Oder) ja dort auch nicht hin. Diese beiden Inszenierungen umrahmten den gut fünfstündigen Abend. Ausschnitte aus fertigen Produktionen standen neben der Sicht auf Kommendes, was, nach Shakespeare, „Verlorene Liebesmüh“ (Poetenpack) nicht war. Auch die „Vagina-Monologe“ vom Theaterschiff verstanden es wieder, manchen zu irritieren. Oxymoron also mit einer sehenswerten, exzessiven Tanz-Geschichte, danach der Auftritt von Bernhard Geffke in der Rolle des prominenten Opportunisten Victor Klemperer, sonst betont man ja immer nur dessen Sonnenseiten. Der minimalistisch angelegte Monolog des Berliner „theater 89“ nach Selbstzeugnissen des Dresdener Philologen ist mehr wert als ein Sack voller Bundestagsdebatten. Eine Aufführung mit Charakter! Jörg Huke mit seiner Posaune hätte freilich viel mehr dazwischen blasen können, bei „Gehen Bleiben“! Übrigens wurden auch Geffkes ehemaliger Kollege vom Hans Otto Theater, Jörg Schüttauf, und weitere Promis im Parkett gesichtet.

„Iron breath“ der Prignitzer „Theaterspedition“ ist eine Tanz-Performance von und mit Kerstin Süske im Stil des japanischen Butho. Vielleicht war das gezeigte Segment nicht so gut gewählt, denn vom feudalen „Recht der ersten Nacht“ war so viel nicht zu sehen, Spannung und Einfallsreichtum auf der Szene schon. Ob seiner so abgeklärten wie abgefahrenen Art gleichermaßen ersprießlich, sang und spielte das himmelblaue Edel-Duo „Miaulina“ (Claudia Engel, Matthias Ludwig)aus Gebersdorf bei Jüterbog open air eine seiner „flunker produktionen“: kitschigste Lieder auf höchstem Niveau, und dabei auch noch freundlich und flott!

Vor den finalen Feuerakrobaten stand noch eine etwas abwegige Lesart zur uralten Medea-Mythe, durch die Brille von Christa Wolf gefiltert. Recht irdisch also folgte man „der Aufklärung eines Verbrechens, das sich ständig wiederholt“, einer brillanten Melange aus Ernst und Gestriesel, intelligenten Szenenlösungen (den Tod ihrer Kinder signalisieren zwei von einer Tonschale zerquetschte Nüsse) und unerwarteten Breaks rund um den alten Sarkophag. Das Frankfurter Theater des Lachens machte seinem Namen wirklich alle Ehre. Statt einer Himmelfahrt aber zerfleischte Medea den Helden (Irene Winter, Björn Langhans) letztendlich beim Koitus mit wahrlich eisernem Gebiss: „Ich esse dein Herz, Iason!“ Ihr Kommentar danach war wie eine öffentliche Ohrfeige: „Ihr habt doch ein Monster gewollt!“

Anspruchsvolle Stücke, sehenswerte Inszenierungen, manchmal auch Biss, es stimmt, was Jens-Uwe Sprengel vorab sagte. Die Freien Theater im Lande Brandenburg haben so einiges drauf!

Gerold Paul

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