
© HOT/HL BÖhme/Montage: Andreas Klaer
Von Heidi Jäger: „Ich gebe mich nie mit mir zufrieden“
Der ehemalige Kruzianer Friedemann Eckert ist heute der „Drachenreiter“ am Hans Otto Theater
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Es herrschte Zucht und Ordnung. Wer sich dabei erwischen ließ, während des verordneten Mittagsschlafs mit den anderen zu tuscheln oder heimlich ein Buch las, durfte abends nicht auftreten. Und auch vor den Mahlzeiten ging es diszipliniert zur Sache. Alle hatten der Reihe nach ihre Hände vorzuzeigen, ob sie auch „fein säuberlich“ sind. Doch den Spaß ließ sich Friedemann Eckert durch solche Nötigungen nicht nehmen. Er schwärmt noch heute von seiner Zeit als Kruzianer, vor allem vom Leben im Internat, das er als Dresdner aber nur bis zur sechsten Klasse besuchen durfte. „Es war wie im Ferienlager, jeden Tag konntest du mit deinen Freunden verbringen, dir abends im Bett Geschichten erzählen und zwischen den Proben Fußballspielen.“ Neun Jahre sang Friedemann Eckert im Dresdner Kreuzchor, mit einem Riesenpensum an schulischen und musikalischen Aufgaben.
Muss er sich nun freispielen von seiner straff organisierten Kindheit? Der Schauspieler, der ab heute in der Hauptrolle im „Drachenreiter“ zu sehen ist, lacht und seine wilden Locken umwehen weich das schmale Gesicht, nun nicht mehr durch Mutters fürsorgliche Hand gebändigt.
Nein, es ist gerade der Ehrgeiz und die Disziplin, die er in seinem jetzigen Beruf als Schauspieler mitgenommen hat. „Ich gebe mich nie zufrieden mit dem, was ich mache. Mir ist es wichtig, immer weiterzukommen.“
In der Theater-AG der Kruzianer und später am Jugendtheater im Schauspielhaus Dresden merkte er, dass die Bühne seine berufliche Heimat werden könnte. „Aber ich habe mich nicht getraut, es jemanden zu sagen.“ Erst als die Theaterpädagogin ihn ansprach, fasste er Mut und bewarb sich an sechs Hochschulen. Schon während des Studiums in Frankfurt am Main holten ihn seine Dozenten immer wieder an ihre Häuser. So auch nach Weimar, wo er mit anderen Schauspielern und Tänzern fünf Stunden lang im „Faust II“ auf der Bühne stand. Während sich der Saal immer mehr leerte. „Das Publikum konnte mit dieser speziellen Ästhetik nichts anfangen, sie wollten ,ihren’ Faust. Für ihn war es indes eine tolle Arbeit, „und ich habe gespürt, welche Macht man als Schauspieler haben kann: Du bestimmst, was auf die Bühne kommt – und nicht das Publikum.“ So war er auch gelassen, als vorige Woche bei „Macbeth“ am Hans Otto Theater an die hundert Besucher die Premiere verließen.
Die Gefahr der Zuschauerflucht dürfte bei „Drachenreiter“ nicht bestehen, auch wenn die Theaterfassung tüchtig in Cornelia Funkes Bestseller eingreifen musste, um es in eine für Kinder akzeptable Zeitfassung zu bringen.
Friedemann Eckert konnte die Rolle des Ben, der ganz allein ohne Familie und Freunde in einem alten Hafenspeicher lebt, sofort für sich annehmen. „Mich fasziniert, dass er immer das Gute in den anderen sieht. Und in seiner Abenteuerlust sehe ich mich als Kind wieder. Er tut Sachen, die ihm keiner zutraut und springt dabei über den eigenen Schatten.“ Bis auf den Rücken des Drachens, der ihn über die Köpfe der anderen hinwegträgt. Mit ihm und dem Koboldmädchen Schwefelfell macht sich Ben auf die Reise zum Himalaja, der letzten Zufluchtsstätte der Fabelwesen. Natürlich blies ihnen dabei ein eisiger Wind um die Nase. „Aber egal, wie schwer und gefährlich eine Situation ist, man sollte nicht aufgeben. Auch das hat viel mit mir zu tun.“
In diesem Spiel der Phantasie kommt die ganze Familie auf ihre Kosten. „Es gibt nicht nur Drachen und Kobolde, sondern auch tolle Lichtstimmungen und eine zauberhafte Musik, die extra für die Inszenierung komponiert wurde“, sagt der 25-Jährige. Singen wird der ehemalige Kruzianer in diesem Stück allerdings nicht, da muss sich der Zuschauer noch bis November gedulden, wenn er in einem Chansonabend seinen Bariton in einer ganz anderen Technik erklingen lässt.
Sein Weg zum Gesang war durch die Eltern klar vorgezeichnet. Beide sind Opernsänger und auch der Vater sang einst im Kreuzchor. „Sie haben früh darauf geschaut, dass meine ältere Schwester und ich uns künstlerisch bilden.“ Anfangs versuchten sie es mit Kinderballett, dann mit Chor. Sohn Friedemann hatte überhaupt keine Lust, „hauptamtlich“ zu singen. Aber er ließ sich darauf ein, mal bei einem Vorsingen zuzuhören. „Dabei wurde ich vom Ehrgeiz gepackt und sagte mir: ,Das kannst du zehn Mal besser’. Und mein Papa hatte natürlich ,zufällig’ Noten dabei“, sagt er mit seinem sympathisch schelmischen Lächeln. Nichts sei ihm während der Schulzeit zugeflogen, alles musste er sich erkämpfen: Jedes Jahr galt es von Neuem, die Prüfung in Klavier und Gesang zu bestehen. Wenn der Kreuzchor auf Reisen war, musste der Schulstoff nachgeholt werden. Diese Hingabe und Ausdauer ist nun auch im Theater vonnöten. „Im Moment tanze ich auf vielen Hochzeiten, da bleibt kaum Zeit für meine Freundin, die noch in Frankfurt Gesang studiert, oder für die Familie.“ Nur Joggen muss sein, der Babelsberger Park liegt ja fast vor der neuen Haustür. „Für mich ist es wichtig, in der Stadt zu wohnen, in der ich Theater spiele.“ Auch wenn seine Heimatstadt Dresden natürlich nicht zu toppen ist, hat er in Potsdam ein ähnliches Wohlgefühl. „Nicht zu vergleichen mit Magdeburg, wo ich zuvor für ein Jahr engagiert war. Aber da du ohnehin den ganzen Tag am Theater bist, ist es auch egal, wenn die Stadt nicht so schön ist. Gerade dort ist es wichtig, Theater zu machen.“
Da der „Drachenreiter“ bereits vor der Spielzeitpause einstudiert wurde, lag er bis zur Premiere fünf Monate auf Eis. Nun werden innerhalb von fünf Tagen die Ecken und Kanten weggeschmolzen. Schließlich liegt ein weiter Weg vor den Abenteurern: Sie müssen einen freien Blick auf die Gefahren bewahren.
Premiere ist heute um 18 Uhr in der Reithall A. Für Kinder ab acht Jahren. Anlässlich der Ferienvorstellung von „Drachenreiter“ veranstaltet das Theater am kommenden Sonntagab 11 Uhr ein Drachenfest für Kinder ab fünf Jahren.
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