Kultur: „Ich hätte sie gern gefragt, mich aber nicht getraut“ Hilde Schramm, Tochter von Albert Speer,
über ihre jüdische Lehrerin Dora Lux
Stand:
Frau Schramm, was hat Sie so sehr an Ihrer Lehrerin Dora Lux fasziniert, dass Sie sich ein Leben lang mit ihr beschäftigt und nun eine Biografie über Sie geschrieben haben?
Sie war eine Lehrerin, die, obwohl sie mit über 70 die älteste war die ich je hatte, in einem gewissen Sinn ihrer Zeit weit voraus war.
Wir sprechen hier von den Jahren 1953 bis 55.
Ja, und in dieser Zeit pflegte sie einen demokratischen Unterrichtsstil, von dem selbst gutwillige Lehrer noch gar nicht wussten, was das ist. Sie war umfassend gebildet und man sagte von ihr, sie sei klüger als ein Lexikon. Gleichzeitig war sie von einer ganz großen Bescheidenheit und Freundlichkeit und Entschiedenheit. Sie hatte Qualitäten einer Lehrerin, die selten so zusammengehen. Dora Lux sprach sehr leise und machte im Grunde einen sehr monotonen Unterricht, also ohne Methodenvielfalt oder dergleichen. Aber trotzdem hat sie in mir ein solches Interesse geweckt an dem Stoff, den Sie vermittelte. Das ging nicht nur mir so. Sie hat auch andere Mitschülerinnen so fasziniert. Und dann kommt noch hinzu, dass sie Jüdin war und ich bis dahin, zumindest wissentlich, einer deutschen Jüdin noch nicht begegnet war. So ahnte ich mehr als dass ich es wusste, dass sie eine außergewöhnliche Lebensgeschichte hatte.
Auch Sie hatten, obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt gerade erst 17 Jahre alt waren, eine außergewöhnliche Lebensgeschichte hinter sich. Sie sind die Tochter von Albert Speer, Hitlers Architekt und ab 1942 Rüstungsminister. Haben Sie beide über ihre Vergangenheiten miteinander gesprochen?
Nein, ich wusste, dass sie 1933 Berufsverbot erhalten hatte und dass sie den Krieg und die Judenverfolgung in Berlin überlebt haben muss. Sie selbst hat nie darüber gesprochen. Und auch wenn ich sie gern danach gefragt hätte, wie sie überlebt hat, habe mich aber nicht getraut. Das war aber keine Neugier im voyeuristischen Sinne, sondern Anteilnahme.
Liegt ein Grund für Ihre starke Faszination von Dora Lux vielleicht auch darin begründet, dass sie Jüdin war, also Opfer und Ihr Vater Albert Speer in nicht unerheblichem Maße Täter?
Ich wusste ja nicht, wie sie überlebt hat. Ob sie gelitten hat oder gut durchgekommen ist. Mich hat das alles nur sehr stark beschäftigt. Und dass ich eine Lehrerin hatte, die mich so sehr beeindruckt und fasziniert hatte, lag nicht in erster Linie daran, dass Sie Jüdin war. Aber das gehörte schon zusammen. Da spielte natürlich auch mit hinein, dass mein Vater zu dieser Zeit im Gefängnis war und ich mich mit seiner Rolle und mit dem NS-Regime auseinandersetzte.
Diese Auseinandersetzung muss ja vor allem aus Eigeninitiative erfolgt sein, denn eine entsprechend umfassende öffentliche Aufarbeitung wie wir sie heute kennen gab es ja damals noch nicht.
Wer sich zu dieser Zeit mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen wollte, der hatte viele Möglichkeiten. Das Thema wurde zwar öffentlich totgeschwiegen, aber es war so präsent, dass man schon blind und taub sein musste, um davon nichts mitzukriegen. Und das war ich als Jugendliche schon nicht. Ich erinnere mich, dass ich schon bevor ich Frau Doktor Lux im Unterricht hatte, sehr gut informiert war über die Verfolgung und Ermordung der Juden und andere Teile der NS-Geschichte. Ich ging an die Elisabeth-von-Thadden-Schule, die nach einer hingerichteten Widerstandskämpferin benannt war. Somit unterrichteten hier neben Dora Lux auch andere, die unter den Nationalsozialisten gelitten oder Widerstand geleistet hatten.
Wie haben Sie diese Zeit an der Elisabeth-von-Thadden-Schule empfunden? Der Krieg lag erst ein paar Jahre zurück und Sie waren die Tochter von Albert Speer.
Bei uns Schülerinnen gab es solche, deren Väter dem NS-Staat gedient hatten und andere, deren Eltern im Widerstand waren. Aber ich hatte trotzdem auch eine unbeschwerte Jugend in dieser Schule und darüber hinaus. Ich wurde hier nicht diskreditiert, diskriminiert, ausgeschlossen oder für schuldig gesprochen. Das hat niemand getan. Diese Schule war von einer umfassenden Toleranz geprägt, was ich damals noch als selbstverständlich nahm. Kein Lehrer hat nach meinem Vater gefragt, aber alle wussten, wer er war. Wir waren ja alle vom Krieg betroffen und manche meiner Mitschülerinnen hatte gar keinen Vater mehr. Das war wirklich schlimm. Aber man darf sich das heute nicht als ständige Belastung vorstellen. Das waren Tatsachen, mit denen wir umgehen mussten. Und ich habe damals schon gerne getanzt und gerne Ausflüge gemacht. Wir haben zusammen Musik gemacht und viel Spaß gehabt. Ich bin also aufgewachsen unter sehr günstigen Bedingungen.
Wusste Dora Lux von Ihrem Vater?
Mit Sicherheit. Aber das war kein Thema, darauf hat sie mich nie angesprochen.
Dora Lux hat Sie in den letzten beiden Jahren vor dem Abitur unterrichtet. Zwei Jahre reichten, dass diese Lehrerin Sie ein Leben lang begleitet hat und noch immer begleitet. Bei allen pädagogischen Fähigkeiten muss es aber doch etwas Persönliches gegeben haben, was Sie an dieser Frau so fasziniert hat.
Ausstrahlungen sind ja immer sehr schwer zu beschreiben. Aber Frau Doktor Lux strahlte Zurückhaltung einerseits und andererseits eine Entschiedenheit aus und war dabei immer von ganz tiefer Menschlichkeit. Ich nenne es geradezu Humanität. Dann ihre Persönlichkeit, dieses verschmitzte Lächeln, das ich immer noch vor mir habe. Und natürlich wusste ich um ihre Vergangenheit, ihren Erfahrungen im Nationalsozialismus. Sie war eine der ersten Abiturientinnen überhaupt und auch als Studentin eine Ausnahme. So erzählte sie von ihrer Zeit an der Universität, wo es noch hieß, „Weißheitszicken werden nicht gegrüßt“. Und dazu hat sie dann so entzückend gelächelt. Da war sie einfach souverän. Auch eine Eigenschaft, die mich an ihr so fasziniert hat: Souveränität, aber ohne einen Hauch von Arroganz oder Überheblichkeit. Das hat schon einen enormen Eindruck hinterlassen und ich wusste keine ältere Dame sonst, die mir auch nur in ähnlicher Form begegnet wäre.
Wann wurde Ihnen eigentlich bewusst, was für ein großes Glück Sie hatten, Dora Lux kennengelernt zu haben und von ihr unterrichtet zu werden?
So genau kann ich das gar nicht sagen. Aber ich konnte anhand von Briefen rekonstruieren, dass ich zum Ende des Abiturs diejenige war, die sich darum bemüht hat, dass wir ihr etwas schenken, das unsere Wertschätzung für sie ausdrückt.
Was haben Sie ihr geschenkt?
Wir haben immer wieder hin und her überlegt. Und ich hatte den großen Wunsch, ihr damit meine Dankbarkeit zu zeigen. Aber uns ist leider nichts anderes eingefallen, als ihr einen großen Blumenstrauß zu besorgen. Das haben wir aber bei keiner anderen Lehrerin oder anderem Lehrer getan. Das war für uns schon etwas Besonderes. Gleichzeitig zeigt es mir aber auch, dass ich ihr damals schon etwas sagen, etwas zeigen wollte. Denn in allem, was sie mir vermittelt hat, war sie nicht beschwert. In meinem Buch schreibe ich es und wage mich damit auch ziemlich weit vor, aber ich habe Frau Doktor Lux nie als einen beschädigten Menschen wahrgenommen. Das hat mich ein ganzes Leben lang beschäftigt, wie jemand mit solchen Erfahrungen sich so eine Ausstrahlung erhalten kann.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Hilde Schramm liest aus „Meine Lehrerin, Dr. Dora Lux“ (Rowohlt Verlag, 19,95 Euro) am morgigen Donnerstag um 19 Uhr im Literaturladen Wist, Brandenburger/Ecke Dortustraße. Das Gespräch moderiert die Landtagsabgeordnete Marie Luise von Halem (Bündnis 90/Die Grünen). Der Eintritt ist frei
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