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Kultur: „Ich lernte in Deutschland denken“

Die Slowakin Michaela Kovácová ist die erste Stipendiatin der Villa Grenzenlos

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Sie lernte schon als Kind geradeaus zu denken. Ihre Eltern waren Ärzte und hatten ihre ganz eigene Meinung zum Staat. Der Vater protestierte 1968 gegen den Einmarsch der Russen in die CSSR und flog aus der Partei. Ihre Mutter, eher konservativ-religiös eingestellt, war gar nicht erst drin. Der Traum vom Oberarzt war für beide damit zwar vom Tisch, doch ihre Köpfe waren frei für Toleranz. Ein Glück für Michaela, die dennoch zwischen zwei Welten pendelte. Die sozialistische Schere im Kopf blieb ihr trotz oder gerade wegen ihres oppositionellen Elternhauses nicht erspart. Heute sagt die 28-jährige Frau: „Ich lernte in Deutschland denken“. Das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Die Stipendiatin der Robert Bosch-Stiftung, die im al globe tätig ist und dort am Dienstag eine Lesung mit dem Kultautor junger Slowaken, Michal Hvorecky, moderiert, hat das kritisches Hinterfragen schon sehr früh erlernt.

Aufgewachsen ist Michaela – die von 160 Bewerbern eine der zwölf Bosch-Stipendien erhielt – in Kezmarok, einer historischen Kleinstadt, die ursprünglich eine von drei deutschen Inseln in der Slowakei war. Diese Enklave ist im 13. Jahrhundert nach dem Tartareneinfall entstanden. Der ungarische König Bela IV. holte deutsche Kolonisten ins Land, weil er im Bergbau Spezialisten brauchte. Außer die Grabsteine auf dem Friedhof sprach lange Zeit nichts mehr von dieser einstigen Besiedlung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Deutschen vertrieben. Erst nach der Revolution 1989 begann wieder, deutsches Leben einzuziehen, wurde auch an Schulen Deutsch unterrichtet. Michaelas Oma war Deutsche. Sie entging der Vertreibung, weil sie einen slowakischen Mann hatte. Ihre Schwester hingegen musste die Heimat verlassen. „Deutschland war für mich immer die leckere Schokolade, die uns die Tante schickte.“ Dass Michaela schließlich auch Deutsch in der Schule lernte, hatte indes weniger mit ihren Vorfahren zu tun. „Die Deutschlehrerin war einfach sympathischer und besser angezogen als die Englisch-Lehrerin.“

Nach dem Abi schwebte ihre eine naturwissenschaftliche Laufbahn vor. Doch da bereits ihre Schwester auf dieser Strecke keine Arbeit fand, rieten die Eltern ab. Jura, Medizin oder BWL – sicherere Einkommensquellen – waren nicht ihr Ding, hatten auch nicht den besten Ruf. Schließlich studierte sie Geschichte auf Lehramt und Deutsch zum Dolmetschen. „Die Geschichtsvermittlung fand ich jedoch manipulierend. Oft wurde nur das Slowakische hervor gehoben, als wenn es keine deutschen oder ungarischen Spuren gegeben hätte. Die Slowakei war nach der Revolution ein junge Nation, die sich erst definieren musste, und deshalb auch nach Idolen suchte. Es wurde nicht die Geschichte des Volkes, sondern die des Landes gelehrt.“

Da sich Michaela besonders für die Geschichte der ganz einfachen Menschen interessierte, studierte sie in Zittau Sozialwissenschaft. „Das war mein erster Kulturschock: In Deutschland war alles viel lockerer, man gab uns mehr Chancen zur Selbstständigkeit, und auch der Umgang mit Quellen war kritischer. Allerdings gab es hier nicht das breite Wissen als Basis. Der Überblick, der in der Slowakei immer betont wurde, fehlte.“

Für sie war dieses freie Arbeiten ideal. Ihre Diplomarbeit schrieb die Slowakin zum Thema „Soziale und kulturelle Identität mobiler Personen im Grenzgebiet Deutschland, Polen, Tschechien“. Auch sie selbst blieb mobil: Und kehrte erst einmal zurück in die Heimat.

Bei der Arbeitssuche stellte sie fest, dass sich die Leute in der Slowakei zunehmend wieder für die deutsche Sprache interessierten. Anfangs unterrichtete sie in der Erwachsenenbildung, später arbeitete sie mit Kindern – und fand, dass sie zu wenig für ihre eigenen Spracherweiterung tat. Also gab sie Deutsch als Fremdsprache an der Uni und unterrichtete zudem deutsche Landeskunde. „Ich schätzte sehr die Freiheit, Methoden ausprobieren zu können. Meine Studenten sagten mir, dass ich die einzige Dozentin bin, die sich auch für ihre Meinung interessiere. Ich merkte aber auch, dass die Studenten den Drang zum Kasten-Denken haben, und sie das Aufzeigen verschiedener Meinungen eher irritiert. Meine Studenten haben das gleiche Problem, wie ich es aus meiner Schulzeit kenne.“ Obwohl mitten in der „Pampa“ gelegen – ohne Internet und nur mit einer Mini-Bibliothek – versuchte sie die Ausbildung zu verbessern: „Ich will meinen Studenten mehr von Deutschland zeigen als veraltete Literatur.“ Film, Musik – das breite kulturelle Spektrum will sie anzapfen. Deshalb gründete sie einen Kulturverein und bewarb sich zudem um das Bosch-Stipendium. „Ich möchte das Kulturmanagement in Deutschland erlernen, um danach reicher an die Uni zurück zu kehren.“

Im November kam sie nach Potsdam, wollte etwas ganz Bürgernahes machen. Der Humor der Leute im al globe war ihr nahe und auch die Stadt gefiel ihr. Und sie wurde zugleich die erste Stipendiatin der Villa Grenzenlos. Jetzt tüftelt sie an interkulturellen Trainingsprogrammen, um Menschen verschiedener Herkunft zusammen zu bringen. Darum geht es auch an diesem Wochenende bei einem Treffen deutsch-polnischer Jugendlicher in Slubice und Frankfurt (Oder), das sie mit organisierte. „Lieder an der Oder“ ist es überschrieben: Jugendliche sammelten Geschichten ihrer Großeltern, die von Sängern vertont wurden. „Wir wollen auch mit den Jugendlichen ,spielen“ und sie dadurch zusammen bringen.“

Und am Dienstag kommt dann Michal Hvorecky nach Potsdam, noch bevor er zur Buchmesse fährt. „Ich möchte ihn auch den deutschen Jugendlichen nahe bringen.“ Der Autor thematisiert in seinem Buch „City: Der unwahrscheinlichste aller Orte“ Sucht, speziell die Internetsucht. „Für ihn ist Sucht das typische Phänomen seiner Generation.“ Beim Gespräch am Dienstag mit dabei ist der Übersetzer des Buches, und auch Videokunst von Kunststudenten ihrer Heimat stellt Michaela im al globe vor.

Im Mai soll es dort zudem eine Ausstellung mit junger slowakischer Fotografie geben, und am 20. Mai startet im KunstWerk ein Europafest, das sie mit der Französin Valerie vorbereitet. Wiederum möchte sie über Spiele den europäischen Gedanken wachrufen. „Ich finde oft Kleinigkeiten interessant: Was man sich zum Beispiel von woanders mitbringt.“ Sie selbst nahm ihren Namenstag-Kalender mit nach Potsdam – „so etwas gibt es hier nicht.“ Michaela begeht diesen Tag am 29. September: Bis dahin hat sie in Potsdam noch viel vor. Heidi Jäger

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