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DIE GESCHICHTE LEYLAS ZUR PERSON: „Ich liebe diese Selbstvergessenheit“

Das Stück „Leyla“ nach dem Roman von Feridun Zaimoglu wird im Hans Otto Theater uraufgeführt. Ein Gespräch mit dem Autor

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In seinem Roman erzählt Feridun Zaimoglu die Geschichte von Leyla, die als jüngstes von fünf Geschwistern in einer anatolische Kleinstadt in den fünfziger und sechziger Jahren aufwächst. Ihr Vater ist ein grausamer und herrschsüchtiger Familientyrann, der seine Frau und die Kinder regelmäßig übel beleidigt und verprügelt. Leyla nennt ihn nur „Mann meiner Mutter“ oder „Ziehvater“. Schon früh ist das Leben von Leyla von dem Wunsch geprägt, der Grausamkeit des Vaters zu entkommen. Liebe erfährt sie nur von ihrer Mutter und den Geschwistern, denen es erst später und nur sehr langsam gelingt, sich der Gewalt des Vaters zu widersetzen.

In Istanbul heiratet Leyla als erstes Kind der Familie und wird dafür von ihrem Vater verstoßen. Die Liebe, die sie für ihren Mann Metin, den sie den „Schönen“ nennt, empfindet, ist vor allem von idealistischen Vorstellungen geprägt. Schon sehr früh wird sie von Metin enttäuscht und muss erkennen, dass die Flucht durch Heirat aus der eigenen Familie ihr nicht das gewünschte Glück bringen wird.

Zaimoglus Kunst besteht vor allem in der Stimme, mit der er Leyla erzählen lässt und die einen nie spüren lässt, dass hier ein Mann in der Rolle einer Frau schreibt. Dabei zeichnet Zaimoglu eine Gesellschaft im Umbruch, die sich versucht, Neuem zu öffnen und dabei immer wieder an der starren Haltung der Tradition zu scheitern droht. Der Mensch ist hier fast immer nur Gefangener der Verhältnisse.

Am Donnerstag findet im Hans Otto Theater die Uraufführung von „Leyla“ statt, dramatisiert von Anne-Sylvie König und Yüksel Yolcu und mit Caroline Lux in der Hauptrolle. D.B.

Herr Zaimoglu, lassen Sie uns mit einem Test beginnen. Ich lese Ihnen ein Zitat vor und Sie sagen mir, von wem das stammt. „Biste bange um ne Schnalle, und Psycho Cassio fährt aus die Kralle und tappt inne Falle – mein Plan a geht über ne Bühne wie ne Jungfernschändung!“

Das ist Othello von Shakespeare in der Fassung von meinem Coautor Günter Senkel und mir. Ich kenn doch das, was ich geschrieben habe.

Sie sind mit Shakespeare nicht gerade zimperlich umgegangen. Das Magazin Focus nennt diese Neuübersetzung einen „groben Fall von Klassikerverhunzung“.

Ich sehe es als eine Ehre an, von Helmuth Markwort (Chefredakteur des Magazin Focus, Anm. d. Red.) verrissen zu werden. Hohle Originalverehrung im Sinne des Bürgerlichen schwebte uns bei der Übersetzung nicht vor. Shakespeare hat ja damals Volksunterhaltungstheater geschrieben. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch das Original und die Übersetzungen angeschaut. Und was stellten wir fest? All das Frivole, das Obszöne und das Szenenspezifische wurde aus Moral- und Sittlichkeitsgründen in den deutschen Übersetzungen einfach gestrichen. Also ist das, was wir gemacht haben, dann doch Originaltreue.

Dabei haben Sie sich für eine sehr derbe Sprache entschieden.

Aber nicht um die Provokation zu suchen. Othello spielt größtenteils unter Soldaten und die werden sich nicht mit Nelken oder Gänseblümchen bewerfen, sondern in einem ganz besonderen Jargon sprechen.

Mit „Leyla“ wird am Donnerstag ein Theaterstück im Hans Otto Theater uraufgeführt, das auf ihrem gleichnamigen Roman basiert. Ist Ihnen da nicht bange, was das Team sprachlich aus Ihrem Text macht?

Überhaupt nicht. Das Wunderbare am Theater ist, dass ein Text vom Autor aus der Hand gegeben wird und dann fängt eine andere Kunstform an. Nämlich die Kunst der Inszenierung des geschriebenen Wortes. Insofern ist mir gar nicht bange. Und ich liebe es, überrascht zu werden.

Werden Sie zur Premiere nach Potsdam kommen?

Das steht auf der Kippe. Ich will eigentlich, aber bestimmte Termin hindern mich noch daran.

Sie schreiben Theatertexte. Hatten Sie darüber nachgedacht, aus „Leyla“ selbst eine Theaterfassung zu machen?

Die Frage kam vom Theater aus Potsdam. Aber ich stecke zu tief drin und wusste, das kann nicht gut gehen. Mir fehlt einfach der nötige Abstand von dem Stoff.

Leyla erzählt eine ganz persönliche Geschichte, die Geschichte ihrer Mutter. Für diesen Roman haben sie sehr lange ihre Mutter befragt und sind ihr dadurch viel näher gekommen, haben mehr erfahren als sonst Kinder von ihren Eltern erzählt bekommen. Wie sind Sie mit dieser Nähe umgegangen?

Diese Nähe war für beide Seiten erst einmal unheimlich. Für meine Mutter, weil sie mit diesem alten Leben abgeschlossen hatte. In den Gesprächen kehrte sie wieder zurück. Für mich, weil ich das Mutter-Sohn-Verhältnis aufgeben musste. In den Stunden und Wochen, die wir da zusammen saßen, war ich gewissermaßen der verlängerte Arm des Aufnahmegeräts. Man darf sich auch keine gewöhnliche Interviewsituation vorstellen, denn ich musste nicht sehr viele Fragen stellen. Meine Mutter hat einfach erzählt. Dafür war ich auch sehr dankbar.

Wie ist Ihre Mutter mit den Erinnerungen umgegangen?

Ich habe ihr von Anfang an gesagt, dass ihre Geschichte der Rohstoff sein würde, mit dem ich dann arbeite. Sie war damit völlig einverstanden. Bald konnte sie sehr frei sprechen, konnte das Mikrophon übersehen und es gelang ihr auch mich zu übersehen. Ich war für sie dann nicht mehr der Sohn. Es kam auch vor, dass sie anfing zu schluchzen und wir das Gespräch unterbrechen mussten. Einmal sogar für zwei Tage. Meine Mutter sagte dann: „Mach das Diktaphon aus“. Oder sie stand auf und ging weg. Meist blieb sie aber sitzen und ich saß ihr gegenüber und hab gewartet, bis sie sich ausgeweint hatte.

Gab es Tabus?

Meine Mutter musste manche Tabus gar nicht aussprechen. Ich habe sie beispielsweise nicht gefragt wie es war, als sie ihre erste Regel bekam, wie es im Buch erzählt wird. Sie hat dieses Thema nur gestreift. Aber ich habe einen Einblick in die ganze Atmosphäre bekommen, in dieses Klima. Sie hat mir ihre Geschichte auf Türkisch erzählt. So ist dieser Roman in vielerlei Hinsicht eine Übersetzung geworden.

War es manchmal auch für sie schwer, diese Gespräche zu führen?

Für mich war das schon eigenartig. Ich wusste ja, dass sie dieses harte Leben hinter sich gelassen hatte. Im Grunde aber haben wir keine großen Worte darüber verloren, wir haben gemacht. Wir waren davon überzeugt, dass es richtig ist, dass meine Mutter diese Geschichte erzählt.

„Leyla“ ist einerseits die Geschichte über die große Möglichkeit der Liebe in der Familie und gleichzeitig die Geschichte über die Unmöglichkeit der Liebe außerhalb der Familie. Kann man das so zusammenfassen?

Ganz genau das. Es geht ja immer, egal ob Familienroman oder eine Lebensgeschichte, um die Liebe. In „Leyla“ geht es um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Liebe.

Sie schreiben in dem Roman als Mann in der Stimme von Leyla, anfangs ein Mädchen, später eine Frau. Ist dieser Geschlechterwechsel, wenn man es so nennen kann, schwer gewesen?

In der Literatur brechen die Identitäten und die Geschlechter. Man muss nur auf die eigene Identität verzichten. Das ist das paradoxe Moment. Ich konnte nicht als Mann in die Rolle einer Frau schlüpfen. Das hatte ich monatelang versucht und bin dabei immer wieder kläglich gescheitert. Dieses Einfühlungsvermögen erreicht man erst, wenn man nicht mehr ein Gegenüber sieht, mit dem man sich beschäftigt. Sonst schreibt man Sachbücher. Man muss nur feste Identitäten vergessen. Diese Selbstvergessenheit liebe ich an der Literatur.

Wenige Wochen nach der Veröffentlichung von „Leyla“ kamen Plagiatsvorwürfe auf. Ihnen wurde vorgeworfen, aus einem Buch von Emine Sevgi Özdamar abgeschrieben zu haben.

Zunächst einmal finde ich es unanständig, dass die Beteiligten sich nachdem sie diese Lüge verbreitet hatten, sich bisher nicht mit einem einzigen Wort entschuldigt haben. Als Schriftsteller wurde ich eines Kapitalverbrechens beschuldigt. Wenn wir die Diplomatie beiseite lassen, bedeutet der Vorwurf: Feridun Zaimoglu hat die Öffentlichkeit betrogen. Frau Özdamar hat dann sehr schnell eine Pressemitteilung eingereicht, in der sie erklärte, sie habe nie vom Plagiat gesprochen. Ich habe zwei Jahre meines Lebens in „Leyla“ investiert und dann kommen diese Menschen und lügen sich etwas zurecht, greifen mich an und das auf eine sehr feige Art und Weise.

Dann wurde es wieder sehr still und heute spricht niemand mehr von den Plagiatsvorwürfen.

Heiße Luft. Es war und bleibt eine Lüge. Immer noch werde ich wütend, weil ich dadurch Literaturpreise, von denen ich gehört hatte, dass ich sie kriegen sollte, nicht bekommen habe. Man wollte ein Buch, wie es dann in der Begründung hieß, das so problematisiert wird, nicht auszeichnen.

Erst das Buch „Leyla“, jetzt auch noch ein Theaterstück. Wie gehen Ihre Eltern mit dieser Form von Berühmtheit um?

Sie lieben es. Manchmal kommen nach den Lesungen Frauen und Männer zu mir und sagen, bitten richten Sie herzliche Grüße an Leyla aus. Nicht an meine Mutter, sondern an Leyla. Und das gebe ich dann immer weiter und sie freut sich sehr. Sie braucht diese Freude auch, da sie sehr unter der Lüge des Plagiatvorwurfs gelitten hat. Ich telefoniere mit meinen Eltern zweimal in der Woche, denn sie sind in Rente und in die Türkei zurückgegangen.

Hat ihre Mutter eigentlich auch persönliche Erwartungen an das Buch gehabt?

Sie sagte, sie würde sich sehr freuen, wenn die deutschen Damen und Fräulein, da zeigt sich die alte Schule meiner Mutter, ihr Leben nicht als ein türkisches Frauenleben ansehen, sondern auch teilweise auf sich übertragen. Und das scheint wohl gelungen zu sein. Jetzt soll sogar ein Kinofilm entstehen.

Gibt es schon konkrete Planungen?

Ja, schon im nächsten Jahr soll es soweit sein.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Feridun Zaimoglu wurde 1964 in Bolu in der Türkei geboren. Seine Eltern kamen mit ihm sieben Jahr später nach Deutschland, wo sie bis 1985 in Berlin und München lebten. Danach zogen sie nach Kiel, wo Zaimoglu bis heute lebt. Er begann in Kiel ein Medizin- und Kunststudium. Zaimoglu arbeitet heute als Schriftsteller, Drehbuchautor, Dramatiker, Journalist und Bildender Künstler.

Schon sein erstes Buch „Kanak Sprak“ (1995), in dem Feridun Zaimoglu die eigenwillige Sprache junger türkischstämmiger Männer in Deutschland literarisch verarbeitet hat, wurde ein Erfolg. Es folgten unter anderem „Abschaum“ (1997), „German Amok“ (2002), „Liebesmale, scharlachrot“ (2004) und sein bisher größter Erfolg „Leyla“ (2006).

Neben dem Friedrich-Hebel-Preis erhielt Zaimoglu für seine literarische Arbeit im Jahr 2003 den Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb und 2005 den Adelbert-von-Chamisso-Preis, die höchste Auszeichnung für deutsch schreibende Migranten.

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