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Er war in Magdeburg immer wieder in großen Rollen zu sehen: Wolfgang Vogler. In Potsdam warten im Oktober gleich drei Hauptrollen auf ihn.

© HOT/HL Böhme

Von Heidi Jäger: „Ich musste die Figur lieben lernen“

Wolfgang Vogler spielt in Ibsens Schauspiel „Die Wildente“ den Wahrheitsverkünder Gregers Werle

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Eben noch probte er Macbeth. Dann eilt er in die Maske, um die Perücke von Don Juan anzupassen. Und nun wartet „Die Wildente“ auf ihn. „Es ist gerade etwas viel“, sagt Wolfgang Vogler, der allein im Oktober drei Hauptrollen am Hans Otto Theater stemmen muss. Und auch zu Hause gibt es kaum ein Ausruhen: seine beiden Söhne, der eine vier Jahre, der andere elf Monate alt, fordern ihr Recht. Schon morgens ab 6 Uhr. Dennoch wirkt Wolfgang Vogler keineswegs gehetzt. „Alles schön nacheinander“, sagt er lächelnd. Und auch beim Erzählen lässt er sich nicht treiben. Er wägt die Worte ab, feinnervig, überlegt, mit großer Sinnlichkeit.

Die Rolle des Gregers Werle in Ibsens Drama „Die Wildente“ sei ein besonders schwerer Brocken in der Erarbeitung gewesen. Mit ihr tritt Wolfgang Vogler in der Regie von Tobias Wellemeyer am Donnerstag zum ersten Mal vor Potsdamer Publikum. „Ich musste diese Figur erst lieben lernen. Gregers ist jemand, der die Wahrheit verkünden will und das hat schnell auch etwas Penetrantes. Privat würde ich nie in das Leben eines anderen hineinpfuschen.“ Also suchte der Schauspieler in der Biografie seiner Figur nach einer Berechtigung für dessen Handeln. „Warum muss dieser Fabrikantensohn, der nach Jahren der fernen Einsamkeit wieder nach Hause kommt, seinem Freund reinen Wein über die Vergangenheit seiner Frau einschenken? Sicher: Er möchte helfen, indem er ihm die Wahrheit sagt. Aber gleichzeitig will er sich damit an seinem eigenen Vater rächen, den er verantwortlich macht für den Tod der Mutter. Das ist für mich der Funke Egoismus, der wohl immer im Tun der Menschen dabei ist und der mir die Figur begreiflicher macht“, analysiert der Schauspieler seine Rolle. Es sei für ihn nachvollziehbar, dass Gregers dem skrupellosen Tun seines Vaters etwas entgegensetzen will: einen starken Idealismus. „Er will nicht die Lüge leben, die die Menschen aushöhlt.“

Inzwischen ist ihm diese Rolle durchaus ans Herz gewachsen. Und auch die Inszenierung. „Wir haben nur uns da oben auf der Bühne, versuchen ein spannendes Menschentheater, ohne viel Effekte und Kunst zu machen.“

Wolfgang Vogler gibt sich bodenständig. Und das liegt bei seiner Herkunft wohl auch auf der Hand. Aufgewachsen ist der gebürtige Bad Oldesloer in einem kleinen Dorf bei Darmstadt: „Ohne Theater, in keiner Form.“ Es gab in der Kaufmannsfamilie mit vier Söhnen weder Romane noch Theaterstücke im Schrank, nur die Geschichts- und Chemiebücher des Vaters.

Doch für die Aufführungen der Schultheatergruppe hatte Wolfgang Vogler als erster eine Dauerkarte. Selbst hätte er sich nie auf die Bühne gewagt, erst mit 18, als er gefragt wurde, ging er mit zitternden Knien vors Publikum. „Das war in San Francisco während eines Schüleraustausches. Ich spielte in Genets ,Unter Aufsicht’ einen Gefängnisaufseher und konnte unter meiner Leggings das Schlottern nicht verbergen.“ Eine Angst, die ihn herausforderte und die er in einer freien Theatergruppe produktiv werden ließ. Doch schließlich überließ er es dem Schicksal, wie die Zukunftswürfel fallen. Er bewarb sich gleichzeitig für ein Dolmetscher- und ein Schauspielstudium. Seine Eltern reagierten mit einer „Schweigeminute“, als der Sohn offerierte, in die Kunst „abzudriften“. Doch spätestens bei den „Buddenbrooks“, einer Dramatisierung des großen Thomas Mann-Romans, war er wieder mittendrin in der kaufmännischen Familie.

Dieser ihm sehr nahe liegende Theaterstoff gehörte schon in seine Magdeburger Zeit, die er nach einem Umweg über die Oper erreichte. Anfangs wirkte er nur in Musikproduktionen mit, wie an der Staatsoper Stuttgart in Neuenfels’ Inszenierung „Die Entführung aus dem Serail“ in der einzigen Sprechrolle. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, jetzt muss ich aufpassen, dass mich am Schauspieltheater überhaupt noch jemand will.“ Man wollte ihn: in Wuppertal. Doch so schnell, wie er dort engagiert wurde, war er auch wieder entlassen, weil die Leitung wechselte. „Ein steiniger Beginn.“ Der glättete sich in Magdeburg in jeder Hinsicht. „Vielleicht war es ein Fingerzeig des Schicksals, dass die Straße in meinem kleinen Heimatort tief im Westen Magdeburger Straße hieß.“

In der Elbestadt fand er nicht nur seine Frau, die Schauspielerin Melanie Straub, sondern auch ein Publikum, das so bodenständig war, wie er es von zu Hause kannte. „Die Leute haben aus Künstlern nichts besonderes gemacht, ließen sich auch nicht von irgendwelcher Werbung beeindrucken. Was zählte, war nur die Vorstellung und die Mundpropaganda.“ Wolfgang Vogler konnte sich einen reichen Erfahrungsschatz zulegen, wurde in keine Schublade gesteckt. „Ich bin mit den verschiedenartigsten Handschriften gewachsen, da hatte das episch-konventionelle ebenso Berechtigung wie das anarchische. Und alles fand ein Publikum.“ Oft mit ihm in der Titelrolle. „Das habe ich keineswegs als Bürde empfunden, denn ich lebe stark von der Gruppe. Alles entsteht aus der Dynamik des Ensembles.“ Und auf das kann er sich nun auch in Potsdam verlassen, denn ein Großteil seiner Magdeburger Kollegen ist mit ihm ans Hans Otto Theater gekommen.

„Ich bin sehr glücklich, in Potsdam zu sein, gerade als Familienvater.“ Wenn auch der lange vor dem Umzug angemeldete Kitaplatz noch immer fehlt. „Ich beneide die Leute, die ihre Großeltern vor Ort haben.“ Doch trotz der vielen Planungszwänge, möchte der 36-Jährige die Turbulenzen mit den Kindern nicht missen. „Bis Mitte 20 war ich ein verbissener Schauspieler. Erst die Familie hat mich viel lockerer und menschlich reicher gemacht. Sie gibt einen guten Abstand zum Theater, gerade jetzt vor den drei Premieren.“

Premiere „Die Wildente“ am 1. Oktober, 19.30 Uhr, Neues Theater.

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