Kultur: „Ich schreibe selbst eine Legende“
Morgen liest Florian Havemann in Potsdam: Ein Gespräch über sein umstrittenes Buch „Havemann“
Stand:
Herr Havemann, wie wichtig ist Ihnen Familie?
Welche denn? Meine eigene?
Ja.
Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Die Familie ist mir sehr wichtig.
Wer Ihr Buch „Havemann“ liest, kann einen anderen Eindruck gewinnen. Was Sie dort über Ihren Vater Robert Havemann schreiben, hat manchen Kritiker veranlasst, Ihnen Vatermord vorzuwerfen.
Was diese Charakteristik meines Buches als Vatermord betrifft, ich sage bewusst nicht Vorwurf, wir wollen nicht hysterisch werden, dazu kann ich nur sagen, Leute, die das schreiben, müssen mein Buch nicht gelesen haben. Aber diese verbale Aufrüstung sagt natürlich viel über die Leute aus, die das betreiben.
Ficht Sie das überhaupt an?
Ich setze mich damit natürlich auseinander und stelle dem entgegen, dass mein Bestreben darin besteht, diesen Mann, meinen Vater Robert Havemann, der als Denkmal, als Ideal tot ist, wieder lebendig zu machen. Das ist das Gegenteil von Vatermord.
Vielleicht liegt eine der Ursachen für die Heftigkeit mancher Kritiken darin, dass Sie mit Ihrem Buch gegen die Legenden über den Dissidenten Robert Havemann anschreiben, der ja schon zu Lebzeiten zu einer Lichtgestalt, regelrecht zu einem Heiligen erklärt wurde.
Ja natürlich. Hinzu kommt, dass ich selbst eine Legende aufbaue. Aber eine, die weitaus interessanter und vielschichtiger ist. Wo Lichtgestalten sind, gibt es auch viel Schatten. Das wollen die Anhänger des Lichts natürlich nicht sehen. Mich aber interessiert dieser Schatten, ich will ein differenziertes Bild zeigen. Denn nur wenn man Robert Havemann in seiner Gesamtheit sieht, ist er ein hoch interessanter Mann, eine Jahrhundertfigur.
Wenn von Robert Havemann bisher die Rede war, dann hauptsächlich vom DDR-Regimekritiker Havemann.
So wichtig sind die Ostdissidenten auf Dauer nicht. Dafür war ihre historische Rolle zu marginal, der Auftritt, den sie hatten, zu kurz. Da ist nicht wirklich etwas geblieben. Sie haben nichts geschaffen, nichts hinterlassen, an dem man sich orientieren könnte. Außerdem war mein Vater kein Dissident.
Wie bitte?
Er war ein Oppositioneller, ein staatlich geduldeter Staatsfeind. Das ist eigentlich typisch Havemann, wie bei meinem Großvater und bei mir. Sein Leben unterteilte sich in verschiedene Abschnitte. Die, die ihn aus seiner letzten Lebensphase kennen, die kennen Robert Havemann nicht. Die haben gar nicht begriffen, was für ein vielschichtiger Mensch er war. Er wusste doch gar nicht, wie in der DDR Entscheidungen getroffen wurden. Ich hatte das Glück, Robert Havemann in drei Lebensperioden zu kennen.
Ihre Schwester Sybille Havemann, die auch in Ihrem Buch vorkommt, hat sich erst kürzlich sehr kritisch im Spiegel geäußert. Dort schreibt sie: „Mein Bruder Florian Havemann muss einen anderen Menschen zum Vater gehabt haben“.
Ich war sehr erschüttert, als ich das gelesen habe. Ich halte meine Schwester eigentlich für eine kluge Frau. Was sie dort schreibt, geht unter ihr intellektuelles Niveau. Das löst in mir schon Gefühle der Verachtung aus, wenn jemand so blöd tut. Mein Bruder wirft mir sogar Verrat vor.
Aber wie erklären Sie sich diese unterschiedliche Sichtweise auf Ihren Vater?
Es weiß doch mittlerweile jeder, dass in Familien mit mehreren Kindern jedes ein anderes Verhältnis zum Vater hat und dass die Eltern zu jedem Kind ein anderes Verhältnis haben. Das ist eine Banalität. In ihrem Artikel behauptet meine Schwester, den wahren Havemann zum Vater gehabt zu haben und ich irgendeinen falschen. Dass sich ihr Bild von unserem Vater deutlich von meinem unterscheidet, darüber haben wir schon so oft diskutiert.
Sie haben Ihrer Schwester geraten, das Buch nicht zu lesen.
Ich habe allen Menschen, die um mich herum sind, geraten, das Buch nicht zu lesen.
Warum?
Weil ich es nicht für sie geschrieben habe. Jedes Buch muss seine Leser finden, für die es richtig und von Bedeutung ist. Ein Autor ist immer in der schwierigen Situation, wenn ein neues Buch von ihm die nötige Beachtung findet, sich am Anfang mit Reaktionen von Leuten auseinandersetzen muss, für die er das Buch nicht geschrieben hat. Ich habe auch meiner Frau geraten, das Buch nicht zu lesen.
Aber wenn Sie sagen: Lest das Buch nicht! Damit provozieren Sie doch erst recht Neugier.
Ich habe mit meiner Schwester über anderthalb Jahre lang darüber gesprochen, dass ich dieses Buch schreibe und immer wieder darauf hingewiesen. Mein Eindruck war, dass sie verstanden hat, dass es besser für sie wäre, es nicht zu lesen. Auch dass sie die Letzte ist, die sich dazu äußern sollte oder beurteilen kann, ob das Buch gut ist oder nicht. Umso erstaunter war ich, ihren Beitrag im Spiegel zu lesen.
Ihre Schwester hat sich auch mit einem offenen Brief an den Suhrkamp-Verlag gewandt.
Es gibt nicht nur diesen offenen Brief. Dem Verlag liegt auch ein Brief vor, in dem meine Schwester verlangt, dass alle Stellen, in denen sie vorkommt, aus dem Buch gestrichen werden.
Hat Ihre Schwester die einstweilige Verfügung durchgesetzt, die den Verlag dazu zwang, Ihr Buch im Dezember vom Markt zu nehmen?
Nein. Aber sie hat mit juristischen Schritten gedroht.
Verraten Sie uns, wer die Rücknahme des Buches erwirkt hat?
Eine Freundin von mir, die in dem Buch unsere Liebesgeschichte entdeckt hat. Da ist die Rechtsprechung durch den Fall Esra ja eindeutig. (Im vergangenen Sommer hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot des Romans „Esra“ von Maxim Biller bestätigt, weil die Persönlichkeitsrechte der Ex-Geliebten Billers mit detaillierten Beschreibung der Liebesbeziehung verletzt werde. Anm. d. Red.)
Liegen noch andere Einsprüche vor?
Ja, aber deren Forderungen sind marginal.
Der Suhrkamp-Verlag hat angekündigt, dass Ende Januar eine gekürzte Fassung von „Havemann“ auf den Markt kommen soll. Glauben Sie, dass dieser Termin einzuhalten ist?
Ich sehe das nicht, denn all diese Einsprüche müssen überprüft werden. Wir wollen auch nicht bei jedem nachgeben. Wir wollen für das Buch kämpfen. Obwohl ich da eigentlich gelassen bin.
Es stört Sie nicht, dass Ihr Buch nicht erscheinen darf?
Es ist ja da und nicht mehr aus der Welt zu kriegen.
Aber es kann nicht verkauft werden und Sie auch nicht daran verdienen.
Als Autor ist es mir nicht egal, wenn das Buch nicht verkauft wird. Weil nur durch das Lesen sich das in den Kritiken falsch vermittelte Bild korrigieren kann.
Man gewinnt den Eindruck, dass die Auseinandersetzung um Ihr Buch „Havemann“ vor allem auch ein Kampf um die Deutungshoheit über Robert Havemann ist.
Diesen Kampf hat es bisher nicht gegeben. Als raus kam, dass Robert Havemann bei der Stasi war, hat Wolf Biermann gesagt, das sei nicht so schlimm. Als seine Giftgasforschungen im Zweiten Weltkrieg bekannt wurden, wurde darüber zwar berichtet, mehr aber auch nicht. Jegliche Kritik an Robert Havemann ist von denen, die die Deutungshoheit inne hatten, immer erfolgreich abgewiesen worden. Bei meinem Buch geht das natürlich nicht, denn hier spricht sein Sohn.
In „Havemann“ geht es nicht nur um Ihren Vater.
In dem Buch erzähle ich ein ganzes Jahrhundert. Ich erzähle von meinem Großvater, die Hälfte des Buches handelt von mir. Mein Bemühen dabei ist es doch, diesen Mann, meinen Vater, zu verstehen. Und dass das, was ich da schreibe, mit dem Idealbild von meinem Vater nicht übereinstimmt, muss doch klar sein. Das ist ja das Dilemma von Robert Havemann. Er hat nicht genug hinterlassen, an dem man sich wirklich reiben könnte. Damit kann er nur als Gestalt einer Vergangenheit überleben. Entweder als Lichtgestalt, was meiner Meinung nach nur den Tod bedeuten kann, oder indem ich ihn so interessant mache. Ich behaupte, wenn in 100 Jahren noch von Robert Havemann die Rede sein wird, dann nur, weil ich dieses Buch über ihn geschrieben habe.
Ein Havemann zu sein, ist das Fluch oder Segen?
Das kann ich gar nicht entscheiden. Ich würde sagen, das ist Schicksal. Es ist einfach so. Aber man kann gegen sein Schicksal ankämpfen, was ich ja gemacht habe.
Wie lange schon hatten Sie diesen Gedanken, dieses Buch zu schreiben?
Ich wusste seit vielen Jahren, dass ich dieses Buch schreiben wollte und sollte. Denn immer wenn ich diese Geschichten erzählt habe, merkte ich, dass das die Leute aufregt, interessiert, wenn sich da plötzlich eine neue Perspektive auftut. Im Januar 2006 wusste ich dann, wie ich dieses Buch schreiben muss. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade mit einem Roman beschäftigt. Aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Da bin ich Sklave meiner Einfälle. Ich habe dann fast schon nebenbei 50 Seiten runtergeschrieben, um zu sehen, ob das so funktioniert. Im September 2006 hatte ich 350 Seiten zusammen und habe die dem Suhrkamp-Verlag auf den Tisch gelegt mit den Worten, das ist ein Buch, mit dem man vielleicht Ärger bekommen könnte.
Sie erzählen in einem sehr eigenwilligen Stil.
Das Schreiben war ein großes Abenteuer. Ich hatte keine Geschichte, die ich von Anfang bis Ende erzählen wollte. Für jedes Kapitel, meist sogar für jeden Abschnitt, ist der Ausgangspunkt eine spontane Idee. Das war dann fast immer wie der Ritt auf einem wilden Pferd. Man muss sehen, wie komme ich da durch. Ich wusste überhaupt nicht, was dabei herauskommt.
Es ist zumindest mit über 1000 Seiten ein sehr langes Buch herausgekommen. Entspricht das der Länge Ihres Manuskriptes?
Als ich das Manuskript beim Verlag abgegeben hatte, war es um 600 Seiten länger. Die Lektoren waren der Meinung, dass am Text nichts zu kürzen wäre. Ich dagegen schon.
Was haben Sie gekürzt?
In dem Buch erzähle ich, was Havemann ist und was mich zu Havemann gemacht hat. Ich habe den Teil rausgenommen, 600 Seiten, in dem ich erzähle, was ich daraus gemacht habe. Zum Beispiel die Geschichte, wie ich Verfassungsrichter in Brandenburg wurde oder wie ich für die PDS für den Bundestag kandidiert habe.
Also ist mit einer Fortsetzung zu rechnen?
Irgendwann schon.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Florian Havemann liest morgen, um 20 Uhr, in der Schinkelhalle, Schiffbauergasse, aus „Havemann“. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 4 Euro.
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