Kultur: „Ich will hier wohnen bleiben, immer“ Finis für Ausstellung. Nicht für Krieg und Vertreibung
Finissage. Dem suggestiven Anblick des „Kofferbaumes" im Entree der Landeszentrale für politische Bildung kann sich niemand entziehen.
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Finissage. Dem suggestiven Anblick des „Kofferbaumes" im Entree der Landeszentrale für politische Bildung kann sich niemand entziehen. Auch nach vier Monaten nicht. Das Gästebuch der Ausstellung „Angst vor der Tür – Kinder auf der Flucht“ ist angefüllt mit vielen Handschriften: geradlinigen, krakeligen, flüchtigen, bedeutsamen Die offenen, leeren Koffer mit weißen papiernen Figuren setzen Assoziationen in Gang. Bilder von Krieg, Vertreibung, Vernichtung, Trauer und Abschied werden im Innern des Betrachters belichtet. Die weißen Figuren entstanden, wie auf Tafeln zu erfahren ist, während einer Projektarbeit in der Lenau-Grundschule in Berlin Kreuzberg zum Thema „Flucht". Die 9- bis 10-jährigen Berliner Kinder unterschiedlicher Herkunft modellierten aus weißem Papier die Gegenstände, die sie auf einer möglichen Flucht begleiten sollten: den Papa, den Kanarienvogel, die Lehrerin Christa, das Meerschweinchen, den Hasen, die Geschwister, die Playstation. Gegenstände behüteter Kinder, die beschützen wollen und beschützt werden wollen. Die Erklärungen und Porträts der Kinder sind auf Tafeln im Entree zu sehen. Ausführliche Informationen über das Heim für minderjährige Flüchtlinge in Fürstenwalde, das Jugendprojekt ALREJU des Diakonischen Werkes (Oder-Spree-GmbH), geben Tafeln im Veranstaltungsraum. Marie-Luise Lukas, seit zwei Jahren Schauspielerin des Hans Otto Theaters, liest Briefe der Flüchtlingskinder, die auf Flughäfen, Bahnhöfen und Straßen Deutschlands ohne Gepäck, Proviant und Eltern aufgegriffen werden. Die Briefe erzählen von Kindern aus Afghanistan, Vietnam, Russland und Irak, die für die Zeit bis zur Volljährigkeit eine Heimat, Schulausbildung und Geborgenheit erhielten: „... nach Fürstenwalde kannst Du kommen. Hier gibt es ein Heim für Kinder ... Es gibt viele verschiedene Hautfarben. Gesprochen wird Deutsch. Es ist wie in einer großen Familie. Ich wohne gern hier und schon einige Zeit und will hier wohnen bleiben, immer, immer, immer..." In den rückerinnernden Briefen danken die Jugendlichen für die freundliche Verweilzeit, für die zurückgeschenkte Kindheit. Immer wieder werden Entschuldigungen ausgesprochen, dass man nicht so war, wie man sein sollte. Pflegeleicht. Nichts ist zu erfahren über die gegenwärtigen Orte nach Erlangung der Volljährigkeit. Wenn es heißt: Abschiebung oder untertauchen. Dem Unausgesprochenen verleiht das Violincello des Künstlers Sonny Thet vom Hans Otto Theater eine Stimme: klagende, lachende, resignierende, tanzende, kämpferische Töne durchziehen den Zuschauerraum. Von den Mitarbeitern des Theaters wurde Geld für viele Wörterbücher gesammelt, das der Leiterin von ALREJU, Mathilde Killich, übergeben wird. Finis für eine Ausstellung. Nicht für Krieg, Vertreibung und Flucht. Auch für Kinder. Barbara Wiesener
Barbara Wiesener
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