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Kultur: „Ich will sterben, um zu leben“

Das Musical „Kitty – Gegen das Vergessen“ wird Sonntag in der Friedenskirche aufgeführt

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Sie sind ungefähr so alt wie Anne Frank. Das Schicksal des jüdischen Mädchens, das sich mit ihrer Familie zwischen 1942 und 1944 in einer Amsterdamer Hinterhauswohnung vor den nationalsozialistischen Häschern versteckte und mit 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Typhus sterben musste, hat 20 Potsdamer Mädchen zutiefst bewegt. In den vergangenen Monaten haben sie sich intensiv mit dem kurzen Leben der Anne Frank beschäftigt. Die Anregung kam von der Potsdamer Sängerin und Gesangspädagogin Juliane Esselbach, die ein Musical über Anne Frank aufführen wollte. Durch einen Zeitungsaufruf fanden sich spiel- und sangesfreudige Kinder und Jugendliche.

Juliane Esselbach konnte die Mädchen für das Projekt begeistern und hat von der Wilhelm-von-Türk-Stiftung finanzielle Hilfe, vom T-Werk und von der der Städtischen Musikschule technische und musikalische Unterstützung erhalten. Die Friedenskirchengemeinde, der sich die Darstellerinnen und Instrumentalisten verbunden fühlen, öffnete gern ihre Räume für die Proben, die seit Februar im Gange sind. Konzentriert bereiten sie sich auf die Premiere des Musicals „Kitty – Gegen das vergessen“ am kommenden Sonntag in der Friedenskirche vor. Es scheint, dass den Mädchen die Ernsthaftigkeit des Projekts sehr deutlich ist. Die Mädchen, so erzählen sie selbst, haben während der Probenzeit viel über die Verfolgung und Ermordung der Juden in der Nazi-Zeit erfahren. Aber leider erleben sie auch heute noch, sei es in der Schule und anderswo, dass Ausländerfeindlichkeit noch nicht zur Vergangenheit gehört. Es ist schon erschütternd, wenn man einen Song hört, in dem es heißt: „Hab‘ solche Angst, ich will hier weg, weg von Zuhaus! Ich will sterben, um zu leben.“

Die Darstellerinnen lasen natürlich das im Versteck geschriebene Tagebuch, das Anne Frank für Freundin Kitty schrieb, und heute zur Weltliteratur gehört, sprachen darüber, beschäftigten sich mit den Potsdamer Stolperstein-Aktionen zum Gedenken an jüdische Mitbürger und reisten in den Herbstferien nach Amsterdam, um das Anne-Frank-Museum zu besuchen. „Sie wollten viel über das kurze Leben der Anne erfahren, um mit mehr Geschichtswissen, aber auch mit Emotionalität dem Vorhaben zu begegnen, ein Musical über das jüdische Mädchen zu spielen“, erzählt Juliane Esselbach,

Persönliche Passagen aus dem Tagebuch wechseln mit Texten, die die Zeit charakterisieren. Dazu reflektierende Songs, die die Sehnsucht Anne Franks nach Freiheit zum Ausdruck bringen. Fast jedes Mädchen wollte Anne Frank auf der Bühne spielen. Juliane Esselbach entschied sich dafür, mehrere Darstellerinnen für die Hauptrolle zu besetzen. „Denn das Schicksal der Anne Frank mussten unzählige Menschen während der nationalsozialistischen Diktatur erleiden“, so Juliane Esselbach. Bei einer der letzten Proben konnte man erleben, dass vieles wie am Schnürchen läuft. Gesungen wurde intensiv und beeindruckend. Laut und provozierend wurden die unheilvollen Forderungen der Nazis in den Saal gerufen: „Juden tragen den Judenstern! Juden geben ihre Fahrräder ab, um unsere Straßen nicht zu verschmutzen! Kein Jude in unseren Straßenbahnen! Juden kaufen nur zwischen drei und fünf Uhr ein!“. Doch Anne weiß darauf nur noch ein trauriges Lied zu singen: „Meine Freundinnen geben mir nichts mehr, sie sind so angepasst und langweilig. Diese Zeit macht uns alle kaputt, weil keiner mehr dem andern traut.“

Seit das Tagebuch 1947 erstmals veröffentlicht wurde, bewegt es viele Menschen in der Welt. Mittlerweile ist es in 55 Sprachen übersetzt. Es erreicht bis heute eine Auflage von über 20 Millionen Exemplaren. Doch je bekannter ihr Tagebuch wurde, desto mehr schien sich auch das Bild des Mädchens Anne Frank zu vervielfältigen. Viel ist über Anne Frank geschrieben worden, Filme wurden gedreht, Theaterstücke aufgeführt. Juliane Esselbach entdeckte das 2008 geschriebene Stück des Osnabrücker Komponisten und Musikprofessors Michael Schmoll. Ein Ereignis in Osnabrück hat ihn zum Schreiben des Musicals bewegt: Vor einigen Jahren fand man eine Hakenkreuz-Schmiererei an einer Schule. Bei Jugendlichen löste sie Erstaunen, Entrüstung und leider auch Gleichgültigkeit aus. Durch das Beschäftigen mit Anne Frank könne man, so ist er sich sicher, der Gleichgültigkeit begegnen.

Sebastian Flämig, der vor allem für die musikalische Einstudierung der kleinen Band, die sich aus Schülern der Städtischen Musikschule zusammensetzt, verantwortlich ist, sagt: „Schmoll schrieb eine zumeist eingängige und emotionale Musik aus poppigen Elementen, die die Mädchen sängerisch und instrumental gut bewältigen können.“ Flämig machte darauf aufmerksam, dass der Komponist leitmotivisch gearbeitet habe. So findet man den Namen Anne Frank in den Tönen A-E-F-A wieder.

„Kitty - Gegen das Vergessen“ am 10. November, 19.30 Uhr, in der Friedenskirche Sanssouci. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 5 Euro

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