
© HL Böhme
Von Klaus Büstrin: Identitätswirren
Kleists Lustspiel „Amphitryon“ hatte im Schlosstheater im Neuen Palais Premiere
Stand:
Sosias tappt im Dunkeln. Zu Hause soll er Alkmene die baldige Rückkehr ihres siegreichen Feldherren-Gatten Amphitryon ankündigen. Doch er bekommt dazu keine Chance. Ein anderer, der erklärt, er sei der Diener Sosias, hindert ihn am Weitergehen. Der verweist den Erstaunten und Erschrockenen aus dem Haus. Sosias tappt weiter im Dunkeln. Merkur, so heißt der andere, erklärt, er sei der Diener des Feldherrn und der sei längst zu Hause. Woher soll der wahre Sosias auch wissen, dass man mit ihm, mit Amphitryon und Alkmene ein böses Verwirrungsspiel treibt. Merkur und sein Chef, der Göttervater Jupiter, stiegen vom Olymp herab und begaben sich auf eine Erd-Exkursion in Sachen Erotik. So feiert Jupiter in der Gestalt des Amphitryon eine Liebesnacht mit Alkmene. Als jedoch der echte Feldherr zurückkommt, beginnen schreckliche Identitätswirren bei den Menschen.
Zunächst wollte Heinrich von Kleist die Komödie „Amphitryon“ von Molière nur bearbeiten. Doch ihm gelang ein eigenständiges Glanzstück: Das Lustspiel einer Grenzerfahrung. Ein Werk, das wie nebenbei den Kern der Bedingungen und Bedrohungen der menschlichen Existenz seziert. Außerdem brachte er dabei die deutsche Sprache mit geschliffenen Dialogen und brillanten Pointen auf eine neue Höhe. Thomas Mann war in das Lustspiel geradezu verliebt: „Ich reise weit, um es zu sehen.“
Im Schlosstheater im Neuen Palais kann man das Lustspiel nun seit Samstag in einer Produktion des Hans Otto Theaters erleben. Vielleicht hätte sich Thomas Mann gewundert, dass bereits nach gut 75 Minuten der Vorhang fällt. Auf manchen Text und manche Szene hätte auch er verzichten müssen, denn die Dresdner Regisseurin Julia Hölscher (künstlerische Mitarbeit: Martin Hammer) hat sich der heutigen Theater-Mode angepasst, Stücke der Klassik zu straffen.
Manchmal werden auch deswegen rabiate Kürzungen vorgenommen, weil Regisseure Angst haben, Zuschauer könnten sich langweilen bei einem Sprachkunstwerk wie Kleists „Amphitryon“ und nicht gewillt sind, zweieinhalb bis drei Stunden sich der Inszenierung anzuvertrauen. Hin und wieder werden Rollen auch auf das Mindestmaß zusammengeschnitten. Hier mussten die Dienerin Charis und der Merkur daran glauben. Dennoch leidet das Kleist’sche Lustspiel nicht darunter. Denn Julia Hölscher hat das Stück auf seinen inneren Kern hinterfragt und das Wesentliche herausgearbeitet. Sie erzählt die Geschichte mit geballter Konzentration und anrührender Leichtigkeit, bei der die Schauspielerinnen und Schauspieler mit einer wunderbaren Ensembleleistung glänzen.
Ohne Effekthascherei geht das Ganze über die Rokokotheater-Bühne, die von Mascha Schubert ebenfalls mit großer Klarheit gestaltet wurde. Denn nichts lenkt hier vom Geschehen ab. Das Bühnenrund, bis zum Orchestergraben gezogen, ist völlig weiß ausgeschlagen. Wie ein Präsentierteller. Eine rote Wand trennt das Innere des Amphitryon-Hauses von der Außenwelt. Mit Schattenspielelementen kann man an der angeblichen fröhlichen Wiederkehrs-Feier des Amphitryon teilnehmen oder Merkur erscheint hinter dem Vorhang als ein beängstigend riesiger Koloss, der herrisch und grob dem wahren Feldherrn den Zutritt in sein Haus verweigert. Komödie und Tragödie wechseln an diesem Abend beständig einander ab – bis am Ende die Tragödie elementar hereinbricht. Was will man auch anderes von den Schurkereien Jupiters erwarten? Wie soll Alkmene wissen, dass sie vom Göttervater in Liebesdingen überrumpelt wurde?
Jupiter und Amphitryon sind in dieser Inszenierung nicht mehr die Jüngsten. Sie haben schon einige Lebenserfahrungen hinter sich. Christoph Hohmann ist kein Feldherr, eher ein Buchhaltertyp, unsicher, ein wenig verklemmt und völlig aus der Bahn geworfen, der sich dennoch wunderbar kämpferisch hochspielen kann, als Jupiter sein wahres Gesicht zeigt. Den verkörpert Peter Pagel als intellektuellen, blasierten Gott, der um seiner selbst geliebt werden will. Er zeigt uns das kalte Antlitz eines skrupellosen Himmlischen – und seine Verzweiflung angesichts der völlig unmöglichen Situation, die ihn angesichts seines Betrugs auf freie, freiwillige Liebe hoffen ließ. Und auch auf Michael Schrodt ist immer wieder Verlass. Er ist ein herrlich komischer, treuer und knochenehrlicher Sosias. Nele Jung ist eine handfeste Dienerin Charis und Marcus Kaloff ein beflissener Merkur.
Und Alkmene? Marianna Linden spielt sie anrührend, besonders in den Verwirrungen. Doch sie versucht die Gestalt des himmlischen Traummanns, als er sich zu erkennen gibt, als Projektion ihrer erotischen Sehnsüchte gegen die Alltagsgestalt des wirklichen Amphitryon zu verteidigen. Sie bleibt schließlich zurück mit ihren existentiellen Nöten. Zurück zu Amphitryon? Die echten Gefühle kann man nicht einfach hinter sich lassen. Sie tappt im Dunkeln.
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