Von Lore Bardens: Ihre Geschichten herausschälen
Nikki Bernstein arbeitet seit 1995 im Offenen Kunstverein und macht Theater mit Kindern statt für sie
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Nikki Bernstein sieht ein wenig verlegen aus, als sie gefragt wird, was sie an der Theaterarbeit mit Kindern reizt. Sie schaut nach unten, plötzlich fällt ihr ein Vergleich ein: „Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich eine Holzskulptur gemacht“, sagt sie, „und da erschien es mir so, als müsse ich die Figur, die ich darin sehe, nur rausholen. Sie ist schon da drin.“ Genauso sei es auch bei den Kindern. Die haben das alles in sich, sie benötigen die Erwachsenen nur als Katalysator für die Geschichten, „um sie rauszuholen.“
Nikki Bernstein ist über Umwege zum Offenen Kunstverein gekommen: Zunächst wollte sie gar nicht auf das Angebot eingehen, über den ersten Gottsdorf-Aufenthalt 1992 einen Film zu drehen. Gottsdorf, das seien die legendären Sommerwochen, in denen in dem brandenburgischen kleinen Dorf alles auf den Kopf gestellt wird und wo am Ende erstaunliche Theaterstücke, Kunstwerke und Skulpturen der Kinder herauskommen. Diesen Prozess sollte sie festhalten, wurde sie von der Leiterin des Offenen Kunstvereins, Sabine Raetsch, gebeten. Aber Nikki Bernstein, die in Berlin alles Mögliche bei Film- und Fernsehproduktionen machte, zuletzt hauptsächlich den Ton, hatte damals genügend andere Aufträge und sagte nein. Doch irgendwie hatte Sabine Raetsch einen Narren an ihr gefressen, rief sie an, in der Hoffnung, sie doch noch überzeugen zu können. Daraus wurde ein mehrstündiges Telefonat, und weil das so sympathisch war, sagte Nikki Bernstein dann doch zu.
Das war 1992, und sie machte die Video-Dokumentation des Theaterstückes „Die Opferung der Iphigenie.“ Dabei muss sie sich in diese Arbeit verliebt haben, denn seither ließ sie die Kinder – oder die Kinder sie – nicht mehr los. 1995 bekam sie eine Stelle als Regisseurin und Dramaturgin für Theater und Musik. „Hier kommt alles zusammen, wofür ich mich immer interessiert habe“, sagt sie und beginnt, aufzuzählen: „Jede Form der Kunst, des Sozialen, der Pädagogik und Psychologie, und vor allem: Ich habe mit werdenden Menschen zu tun.“
Als Nikki Bernstein selbst noch ein „werdender Mensch“ war, lebte sie im US-Bundesstaat Maine an der Ostküste. Sie studierte in Boston Film- und Fernsehproduktion, kam aber 1979 mit 21 Jahren nach Berlin. Sie wollte nach Europa, das Land war ihr relativ egal. Zufall scheint es aber nicht zu sein, dass sie in Berlin gelandet ist, im damaligen Westberlin, in dem sie von einem Onkel empfangen und sogleich mit einem Job versorgt wurde und ansonsten ziemlich wilde und raue Jahre verbrachte. Ihre Mutter ist hier geboren, mit neun musste sie auswandern, der Großvater ist in Amerika nie heimisch geworden. Er war einer derjenigen, die dachten, dass die Nazis das alles nicht so ernst meinen, aber auf den Rat eines guten Freundes dann, als es gerade noch ging, auswanderte.
Nikki Bernstein hatte mit den Deutschen keine Probleme, vielleicht auch, sagt sie nach einem kleinen Nachdenken, weil niemand aus ihrer Familie Opfer der Nazis wurde. Immer noch wohnt sie in Berlin, jetzt im Prenzlauer Berg, lange Zeit lebte sie im Westen der Stadt. Die hat sie geprägt, und wenn sie heute nach Amerika zu ihrer Familie reist, dann ist da zwar immer die Euphorie des „Jetzt bin ich wieder daheim“, aber das geht, sagt Bernstein lächelnd, nach drei Tagen auch wieder vorbei. Dann weiß sie, dass sie nach Deutschland gehört, nach Berlin, und vor allem zum Offenen Kunstverein Potsdam, in dem sie spät gefunden hat, was sie immer suchte.
Ein Schlüsselerlebnis hatte sie, als sie beim Grips-Theater zuschaute. Ihre Versuche danach, selbst Theater für Kinder zu machen, fruchteten nicht. Und durch den Offenen Kunstverein habe sie gemerkt, dass genau das auch der Fehler war, denn es sei für sie selbst sehr viel besser, Theater mit Kindern zu machen, anstatt für sie. Sie schaut bei den Produktionen darauf, dass alles zusammenpasst. Sie macht die Musikregie und vor allem achtet sie mit Ulrike Schue darauf, dass aus den Kindern das herauskommt, was eh schon in ihnen drin ist. Wie bei der Holzskulptur eben, in der schon alles enthalten war: Nikki Bernstein musste es nur herausholen.
Die nächste Theateraufführung des Offenen Kunstvereins ist am Sonntag, den 8. März um 18 Uhr im T-Werk. Die Gruppe „Tarántula“ zeigt ihre Nibelungen-Adaption „Das Lindenblatt des Grauens“, unter der Mitarbeit von Nikki Bernstein.
Lore Bardens
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