Kultur: Illusionierende Soundmasche
Filmmusikkonzert mit Fabrizio Gallina Sabarino in der Friedenskirche zur Walhalla-Eröffnung
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„Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein“, hieß einer der Slogans, mit denen die Filmindustrie auf die Verfilmungen seiner Krimis werbeträchtig hinwies. Zur Gänsehautverstärkung trug in erheblichem Maße die filmmusikalische Untermalung bei. Wie in diesem Geschäft üblich, wilderte man schamlos bei Klassikern, bearbeitete sie - bis der gewünschte Schmacht- oder Gruseleffekt erreicht ist.
Auch in den Traumfabriken von Hollywood florierte die Filmmusik. Entweder wurde durch sie das Geschehen detailliert untermalt („underscoring“) oder die Stimmung durch in sich abgeschlossene Komplexe wiedergegeben („moodtechnique“). Die Schnittmuster glichen sich dabei: gefälliger und gefühlvoller Streichersound bis hin zum Seelenbibber machte sich immer gut, denn er war vielseitig verwendbar. Damit konnte man Liebesszenen untermalen, Hochzeiten, die Weite der Prärie akustisch nacherleben lassen, mit einer Totale über Farmerland schwenken
Oder aber sich in modischen Soundentwicklungen austoben. Zu ihnen gehört Ennio Morricone (geb. 1928), Altmeister des Genres. Wem fiele da nicht sogleich der Corbucci-Film „Spiel mir das Lied vom Tod“ ein oder das Zelluloidopus „Fessle mich“. Wenig fesselnd jedoch das, was Morricone-Schüler Fabrizio Gallina Sabarino vom Meister und anderen Filmmusikkomponisten unter dem Titel „Es war einmal in Amerika“ auswählte und auf der Woehl-Orgel in der überfüllten Friedenskirche spielte. Mit diesem Konzert eröffneten sich am Samstag die diversen Aktivitäten zur Wiedereröffnung von Potsdams Walhalla-Varieté in der Dortustraße. Im Stil der Zwanziger Jahre bekleidete Hostessen waren optische Lichtblicke in der ansonsten ziemlich eintönigen Hörkulisse.
War es ein gewagtes Unterfangen, die instrumental ausufernde Filmmusik auf einer Orgel wiederzugeben? Keinesfalls. Erinnert sei an die kinematographischen Anfänge, an die Stummfilmzeit, wo auf Kinoorgeln der Firma Wurlitzer von Geräuschen bis zum tragisch-tränenreichen Liebesdrama alles erklingen konnte, wonach das Herze verlangte. Im Renaissance-Sound beginnt Morricones „Giordano Bruno“-Thema zum gleichnamigen Film von Giuliano Montaldo. Allmählich reichert es sich mit U-Musikwendungen an. Weiche Zungenstimmen nebst der Verwendung des Tremulanten ergeben in „Once upon a Time in the West“ (aus einem Sergio Leone-Film) puren Seelenschmalz. Das „Geheimnis der Sahara“ entpuppt sich als flächige, weiche, sonnendurchglühte und gefühlsschwärmerische Beschreibung. Illusionierende Filmmusik eben.
Lichtblick in dieser fast durchgängig einschläfernden, von elegischen Schilderungen nur so ausufernden, kontrastarmen Nummernfolge ist die Musik zur „Dollar“-Trilogie von Sergio Leone. Sie beginnt überraschend mit Bachs berühmter d-Moll-Toccata BWV 565, die sich zunehmend mit verfremdungsreicher U-Musik auffüllt. Das Stück wird vom Organisten filigran registriert, temporeich artikuliert und den aufhorchenden Ohren zur Erbauung dargereicht. Ansonsten zeigt sich Morricones Musik ohne jegliche kontrapunktische Notenarbeit als pure Gefühlsmalerei. Fabrizio Gallina Sabarino greift deshalb fast stets auf Schwebung und Aeoline zurück, mischt Prinzipal- mit Flötenstimmen. Das alles wirkt auf Dauer langweilig.
Ein wenig Leben in den kirchlichen „Kinosaal“ bringt Nino Rotas musikalische Bebilderung von Ford Coppolas „The Godfather II“, die Verwendung der Händel-Arie „Lascio ch''io pianga“ aus „Rinaldo“ in einer weiteren Filmpiece. Auch beim Rückgriff auf Henry Purcells „Music for the Funeral of the Queen Mary“ aus dem Film „The Clockwork Orange“ offenbart sich: da ist Musik, die aus Knochen und Muskeln besteht statt – wie zuvor meistens gehört – aus Fett und schlabbrigem Bindegewebe. Nicht weniger originell ein im Leisen beginnender, anmutig fortschreitender Renaissance-„Dance“ mit dem gezogenen „Vox humana“-Register als schnarrendem Beiwerk. Nach einer langen Stunde folgt erlösender herzlicher Beifall, dann formieren sich die Varietéfans zur Prozession, angeführt von einer Marchingband.
Peter Buske
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