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Spiegelungen: Blick in die Ausstellung Trust.

© Manfred Thomas

Von Almut Andreae: Im Dialog

Das deutsch-französische Projekt „TRUST!“ verbindet zwei Kunstvereine. Mit der Gast-Ausstellung „The Eleventh Letter“ geht es im Brandenburgischen Kunstverein in die zweite Runde

Stand:

Es ist eine Frage des Vertrauens. Zur Disposition steht die temporäre Überlassung des eigenen Standortes an Dritte. „Carte Blanche“ lautet das Motto des aktuellen Austausches zwischen dem Kunstverein in Delme bei Metz und dem Brandenburgischen Kunstverein Potsdam (BKV). Beide Kooperationspartner geben beim jeweils anderen ein Ausstellungsgastspiel und bekommen dabei freie Hand.

Entstanden ist dabei für Potsdam folgendes Szenario: Auf den ersten Blick erscheint der Raum eher asketisch. An einer Ecke baumeln tuchartige Objekte, schräg gegenüber schaut man auf eine mit Stoffen in kräftigen Farben abgehängte Ecke, die neugierig stimmt. Ein Blick hinein ist indes nicht vorgesehen. Zwei Kinoklappsitze bilden etwas unvermittelt die Mitte der Rauminstallation. Ob sie gemeint sind als Aufforderung an den Betrachter, sich zu setzen? Dieser ahnt unwillkürlich, dass zwischen dem bühnenartigen Podest mitsamt aufgeklapptem Koffer, den Spiegeln und der einzelnen kleinen Malerei an der Wand eine innere Verbindung besteht.

Der in die Hintergründe der Installation nicht eingeweihte Besucher tappt vorerst ein bisschen im Dunkeln. Überhaupt gibt sich auch der Titel der Ausstellung, „The Eleventh Letter“, eher geheimnisvoll. Ganz offensichtlich bestimmt das Prinzip der Andeutung das Ausstellungskonzept. Marie Cozette, künstlerische Leiterin des „centre d''art contemporain – la synagogue de Delme“, ist die Kuratorin. Im Mittelpunkt der von ihr konzipierten Schau stehen zwei junge Künstlerpaare: Patrick Bernier & Olive Martin sowie Elise Florenty & Marcel Türkowsky. Beide Paare erweitern ihren Ausstellungsbeitrag um einen Dritten und gehen somit eine Dreiecksbeziehung ein: Bernier/Martin mit einem gewissen Monsieur K., Florenty/Türkowsky mit dem so genannten Major Young.

Das in Nantes lebende Künstlerpaar Bernier & Martin entwickelte einen 16-mm-Kurzfilm, der 2005 unter dem Titel „Manmuswalk“ zusätzlich im Großleinwandformat herauskam. Der bereits auf zahlreichen Filmfestivals zu sehende Beitrag beruht auf wahren Tatsachen und beleuchtet den Tagesablauf eines afrikanischen Immigranten („K“). Der Titel des Films bezieht sich auf eine Romanfigur des nigerianischen Autors Ken Saro-Wiva. „Man-must-walk“ bezeichnet einen Mann, der permanent in Bewegung bleiben muss, um sich der Gefahr einer Identifizierung (und Abschiebung) zu entziehen. Die Notwendigkeit, ständig in neue Rollen zu schlüpfen, wird zur Überlebensstrategie. Da ist es nur zu konsequent, dass die Hauptfigur „K.“ durch wechselnde Darsteller verkörpert wird. Gemeinsam ist ihnen die Statur – und die schwarze Haut.

Damit spannt sich in der Ausstellung der Bogen zwischen Monsieur K., der seine Identität situationsabhängig wie ein Chamäleon wechselt, und dem mysteriösen Major Young. Zwar bekommt man Letzteren nie zu Gesicht, dennoch ist er im Raum überaus präsent. Ist es doch kaum möglich, sich der kraftvoll tönenden Stimme dieses dunkelhäutigen Kriegers und Abkömmlings ägyptischer Götter zu entziehen. Seine schillernden Identitäten reichen weit in die Vergangenheit zurück. Aufgenommen von dem französisch-deutschen Künstlerpaar Florenty & Türkowsky im tiefsten Mississippi mit einem Tonbandgerät, entführt der Monolog von Major Young in eine völlig andere Welt. Wie eine plötzliche Erscheinung war der ungewöhnliche Zeitgenosse vor dem Paar aufgetaucht, als es die Gegend auf den Spuren des Romanciers William Faulkner durchkreuzte. Der Auftritt des Fremden, vor allem der Inhalt seiner Worte, ist befremdend und faszinierend zugleich. Auf das Künstlerpaar aus Berlin hinterließ er einen bleibenden Eindruck. Für die Potsdamer Ausstellung entstand eine neue Werkgruppe mit dem Titel „You know something that they don’t know“, das wie ein Nachbeben auf das denkwürdige Erlebnis im Mississippi erscheint. Die akustische Tonspur der Tonbandaufnahme wird mittels Projektion als spiegelverkehrte Schrift visualisiert. Lesbar wird sie erst, wenn man ein bühnenartiges, niedriges Podest betritt und in die Spiegel gegenüber blickt. Im Spiegelbild erkennt der Betrachter die Worte von Major Young und unmittelbar daneben sich selbst.

Zusätzlich zu ihrer Video- und Klanginstallation haben Florenty und Türkowsky die Edition „Mississippiana“ kreiert: Geborgen in einer aufwändig gestalteten, käuflich zu erwerbenden Kassette wurden hier diverse Memorabilien an die Mississippi-Zeit zusammengestellt. Weitere Relikte verströmen unter dem Glas einer Vitrine einen Hauch individueller Kostbarkeit.

Warum nun eigentlich die Ausstellung „The Eleventh Letter“ heißt, ist nicht das einzige Rätsel im Raum. Den Fokus der Ausstellung beeinträchtigt und schmälert dies nicht. Gerichtet auf die Frage, wie Identität konstruiert bzw. dekonstruiert wird, entfaltet die engagierte Kunst durchaus anregende Wirkung. Zuvor hatten die Potsdamer das zweiteilige Tandem-Projekt „TRUST!“ mit einer Ausstellung in Delme eröffnet. Das deutsch-französische Projekt „Thermostat“, an dem sich insgesamt 24 Kunstvereine beteiligen, ermöglichte Potsdam und Delme die fruchtbare Kooperation.

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag von 12-18 Uhr (bis zum 30. Januar 2011). Luisenforum, Brandenburger Straße 5.

Almut Andreae

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