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Kultur: Im Entstehen vergehen

Suse Ahlgrimm-Globisch im Potsdam-Museum

Stand:

Suse Ahlgrimm-Globisch im Potsdam-Museum In ihrem Selbstbildnis von 1980 steht Suse Ahlgrimm seitlich vor dem geöffneten Fenster und schaut nicht nach draußen, sondern, wenn überhaupt, auf ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. Alles ist in Blau getaucht, auch der Schnee wirkt fast bläulich, ein wenig so, dass die kurzhaarige Frau irgendwie mit ihrer Umgebung verschmilzt. Als Hubert Globisch, ihr im letzten Jahr verstorbener Ehemann, sie 1995 malt, lässt auch er die Frau am Fenster stehen. Da hat sie den Rücken zur Straße, sie könnte den Betrachter ansehen, wenn sie nicht ebenfalls in Blau untergehen und mit dem helleren Ton des Hintergrundes verschwimmen würde. Beide Bilder gehören zu der Ausstellung „Im Entstehen vergehen“, die noch bis zum 23. Oktober im Potsdam-Museum in der Benkertstraße 3 zu besichtigen ist. Suse Ahlgrimm scheint sich demjenigen zu entziehen, der sich auf Spurensuche begibt und bisher noch nicht das Glück hatte, sie kennen zu lernen. Denn ein Glück muss es sein, jetzt noch schwärmen ihre ehemaligen Schülerinnen und Schüler des Helmholtz-Gymnasium von ihrer Fähigkeit, andere Menschen in die Kunst einzuführen und ihnen Selbstvertrauen zu vermitteln. Nicht wenige davon sind Künstler geworden. Offensichtlich hat sie es auch in dem Beruf als Kunsterzieherin so gehalten wie auf diesen beiden Bildern: sich selbst zurücknehmend auf die Umgebung einwirken. Bescheiden, aber beharrlich und äußerst wirkungsvoll. Diese Eigenschaft wurde auch in der Videobotschaft, die die Künstlerin dem anwesenden Vernissage-Publikum sandte, weil sie durch Krankheit verhindert war, deutlich. Da sah man sie nicht, man hörte bloß. Bloß? Starr war die Kamera auf ihren Arbeitsplatz gerichtet und eine überraschend klare, frische Stimme sprach direkt mit den Anwesenden. „Sehen Sie mir nach, dass ich Sie mit Goethe begrüße,“ bat die 85-Jährige das Publikum, und ließ sich mit dem Zitieren aber noch Zeit. Das war sicher auch ein rhetorischer Schachzug, denn einer ihrer Redegegenstände war die Zeit, von der sie im Gegensatz zu den meisten Menschen nun sehr viel habe. Dieser Umstand und die Tatsache, dass ihre Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt ist, haben sie auf „den Weg nach innen“ gebracht. Doch die erwartete Resignation darüber trat nicht ein: statt dessen Humor und Dankbarkeit. Vor allem den Künsten gegenüber. Und jetzt endlich durfte Goethe mit seinem „stirb und werde“ kommen, aber da war von Suse Ahlgrimm schon alles Wichtige gesagt. Der Titel der Ausstellung knüpft an dieses Goethesche Motto des Stirb und werde an. „Im Entstehen vergehen“ wurde aus zwei Bildtiteln zusammengesetzt. Diese gehören zu ihrer aktuellen Malerei, die sich fast gänzlich der Konkretion entfremdet hat. Ahlgrimm entwickelte sich weg von wunderbaren, Paula Modersohn-ähnliche Porträts, z.B. „Bozena aus Nysa“ oder „Seifenblase“ und Landschaften der (DDR-)Düsternis, z.B. „Stadt vor den Bergen“, hin zu einem Spiel mit Material, Farbe und Form, das der Fantasie viel Freiraum gibt. Ihre Acrylfarben sehen aus wie Aquarell, spielerisch wird das Papier frottiert oder zerknittert, mit Schwamm oder Finger verteilt, und heraus kommt eben ein „Im Entstehen“, das den Farben und Formen scheinbar freien Lauf lässt, wo nichts künstlich reglementiert scheint, aber dennoch Bewegung da ist. Innere Bewegung, Entwicklung, Leben. Hoffentlich bleibt Sues Ahlgrimm dafür noch ganz viel Zeit. Lore Bardens

Lore Bardens

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