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Kultur: Im Grenzbereich von Sichtbarem und Vorstellbarem

Hartmut Böhms „Progressionen“ in der Galerie für konstruktive Kunst

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Hartmut Böhms „Progressionen“ in der Galerie für konstruktive Kunst Nur wenige Künstler haben die Grundstrukturen, auf denen die konstruktive Kunst beruht, so konsequent untersucht wie der in Berlin lebende Hartmut Böhm. Dabei führt sein Weg nicht zu immer komplexeren malerischen Formgebilden, sondern im Gegenteil zu immer strenger konzipierten, elementaren Formulierungen wie Quadrat, Rechteck, Winkel und Kreis. Reduzierung, Weglassen, Konzentration auf das Wesentliche anstelle von Vielschichtigkeit, Detailverliebtheit und Erzählfreude ist seine Devise. Er sprengt mit seinen „Progressionen“ traditionelle Begrenzungen – nicht nur des Tafelbildes –, um mit seinen konstruktiven Konzepten in den unendlichen Raum vorzustoßen. Seine in bestimmten Längen und Abständen angeordneten vertikalen Linien begegnen sich an imaginären Schnittstellen mit lediglich gedachten horizontalen und diagonalen Linien. Der jeweilige Schnittpunkt bildet dann wieder den Ansatz für die nächste Vertikale. Mit verschiedenen, aufeinander bezogenen Strichlängen und verschiedenen progressiven Winkelgraden ergeben sich Überschneidungen zweier oder mehrerer Reihungen, die vom flüchtigen Auge selbst nicht mehr nachzuvollziehen sind. Sie können nur noch mit einer Rekonstruktion der Hilfslinien entschlüsselt werden. Diese Reduktion eines ursprünglich vielfach vernetzten Strukturplans auf seinen Ausgangs- und Endpunkt führt den Künstler bis an die Grenzen bildnerischer Möglichkeiten. Aus unserer bunt und vielfältig bebilderten Alltagswelt haben die Arbeiten Böhms den Rückzug auf die reine Linie angetreten. Durch die Einbeziehung nicht sichtbarer Strukturlinien wird dem Betrachter zwar äußerlich der Zugang erschwert, aber um so mehr wird seine Fantasie, sein Denkvermögen herausgefordert, den Linien auf die Spur zu kommen. Auch in den jüngsten Arbeiten Böhms, die jetzt in der Potsdamer Galerie für konkrete Kunst vorgestellt werden, beruht die Form auf einfachen geometrischen Regeln. Ausgangsform ist ein Quadrat, seltener eine Rechteck. Durch einfache Teilungen einer Kante wird mit einer zweiten, anstoßenden Kante ein rechtwinkliges Dreieck konstruiert. Das so entstandene Dreieck wird von der Ausgangsform abgetrennt und an der gegenüberliegenden Kante angefügt. Dieser Prozess kann auch rückläufig erfolgen, so dass die Ausgangsform dann als geteilte wiederkehrt. Winkelteilungen von senkrecht nach waagerecht nehmen dem Quadrat etwas weg bzw. fügen ihm etwas hinzu. So kommen - wie sie Böhm bezeichnet - „Gegenüberstellungen“ zustande, „Integration“ und „Progression“. Wenn geteilte Ausgangsform und veränderte Form nebeneinander bestehen bleiben, haben wir es mit einer „Gegenüberstellung“ zu tun. Fallen beide Formen in ihrer Grundlinie zusammen, sind sie in großen Teilen deckungsgleich, sprechen wir von „Integration“. Im Wegnehmen und Hinzufügen von Teilformen aus einer Grundform, im Teilen und Verschieben soll die Ausgangsform – der rechte Winkel oder das Quadrat – mit der Endform – der ins Unendliche weisenden Parallele, der aus einer unendlichen Linie bestehenden Fläche – in Beziehung gesetzt werden. . Die Mehrzahl der Arbeiten ist aus Spanplatten gefertigt, einem industriell vorproduzierten Material mit in sich strukturierter Oberfläche. Die aufgetragene Lasur lässt das Material noch durchscheinen. Da die Teilformen von der Ausgangsform abgesägt und wieder zusammengefügt wurden, müssen die Arbeiten an den Verbindungsstellen von einer weiteren Platte hinterfangen werden. Dadurch hebt sich die Endform leicht von der Wandfläche ab, sie scheint förmlich vor der Wand zu schweben. Bei aller Rationalität des Konzepts spiegelt sich in den Arbeiten Hartmut Böhms doch die Subjektivität als Grundlage seiner Kunst wider. Er errichtet reale und imaginäre Gebilde und Gebäude, die aus einer Verbindung von visueller Sensibilität und konstruktiver Phantasie leben. Klaus Hammer Galerie für konkrete Kunst Potsdam, Friedrich-Ebert-Str. 33, Fr-So 14-17 Uhr, bis 30. Juni.

Klaus Hammer

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