Kultur: Im Nikolaisaal: Hanseatisches Gambensingen
Eine überraschende Idee jagt die nächste. Witzig und verwegen hört sich das an, so gar nicht nach überliefertem Regelwerk konzipiert und verarbeitet.
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Eine überraschende Idee jagt die nächste. Witzig und verwegen hört sich das an, so gar nicht nach überliefertem Regelwerk konzipiert und verarbeitet. Doch gerade durch solche Einfälle ist Dietrich Buxtehude, Organist und „Werkmeister“ an der Marienkirche zu Lübeck, landauf landab zu einer Berühmtheit geworden. Man will ihn sehen, hören, sich von seiner Spiel- und Tonsatzkunst anregen lassen. Zu diesen Wissbegierigen gehört ein junger Kirchenmusiker aus Arnstadt, der sich anno 1705 auf den Weg gen Norden begibt. „Bach besucht Buxtehude“ nannte sich denn auch ein Programm, das innerhalb einer „Stunde der Musik“ im Nikolaisaal-Foyer mit Kammermusik beider Protagonisten aufwartete. Die Mitglieder der „Hamburger Ratsmusik“ erläuterten zuvor die jeweiligen Stücke, doch wäre eine durchgängige Moderation dem zweifellos thematisch gedachten Programm durchaus dienlich gewesen.
Man spielt auf historischen Instrumenten, die für den als authentisch nachempfundenen Klang sorgen. So spielt Simone Eckert eine in Prag gefertigte Viola da gamba von 1740, auf der entsprechende Sonaten von Bach und Buxtehude ihren Klangzauber glaubwürdig bezeugen können. Weich, flexibel und volltönend gestrichen, erweist sich die eingangs erklingende Buxtehudesche Gambensonate D-Dur durch ihre sachkundige Wiedergabe als eine kurzweilige Piece. Stilvolle Unterstützung erfährt sie bei ihrem quasi singenden Spiel von Cembalo (Tobias Gravenhorst) und Theorbe (Ulrich Wedemeier).
Überraschende Motive finden sich bei den beiden Bachschen Gambensonaten D-Dur BWV 1028 und g-Moll BWV 1029 (mit obligatem Cembalo) dagegen nicht. Klar und regelgerecht in der Abfolge, sind die harmonischen Entwicklungen unüberhörbar nachzuvollziehen. Simone Eckert spielt sie korrekt, klangschön, wie abgezirkelt, kurzum: sehr hanseatisch. Ach, wäre sie doch einmal so richtig ungehemmt, sozusagen buxtehudisch aus sich herausgegangen! Als einzigen Luxus gönnt sie sich ein dezentes Vibrato zur Ausdrucksverstärkung. Dagegen erlaubt sich das Cembalo verzierungsreiche Freiheiten, perlt munter dahin. Mit Buxtehudes berühmtem „Stylus fantasticus“ hatte der Leipziger Thomaskantor in seinen letzten Jahren also nicht mehr viel im Sinn. Umsomehr der zu Buxtehudes Zeiten in Lübeck tätige David Arnold Baudringer mit seiner einzig erhaltenen Gambensonate B-Dur. Sie ist von dramatischer Rhetorik erfüllt, die von den drei Instrumentalisten prononciert vorgetragen wird. Wenig fantastico hält die Sonate eines Lübecker Anonymus aus Buxtehudes Umfeld bereit.
Doch auch die Continuisten erhalten ihren Soloauftritt. Da kein Lautenwerk von Buxtehude überliefert ist, zupft Ulrich Wedemeier die original für Cembalo notierte F-Dur-Suite als eine apart bearbeitete, betont filigrane Unterhaltungsmusik. Mit ihren zarten Klängen passt sie genauso vorzüglich zum Spielort wie Buxtehudesche Piecen für“s Tasteninstrument. Der fast unaufhörliche Wechsel von frei gesetzten mit fugierten Abschnitten und überraschende Taktwechsel zeichnen das g-Moll-Praeludium aus, Liedhaftes die d-Moll-Canzona. Fantasieanregend, spielfreudig, mit „krummen Sprüngen und vielgeschwänzten Noten“ (Mattheson) breitet der Cembalist die 32 Variationen über die Aria „La Capricciosa“ (Die Zickige) aus. Originelle Klangveränderungen (per Registerzügen für die beiden Manuale) gibt es zu bestaunen. Ist diese Folge vielleicht Vorbild für Bachs „Goldberg-Variationen“?! Peter Buske
Peter Buske
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