
© Andreas Klaer
Von Heidi Jäger: Im Rausch
Goran Bregovic brachte mit seinem Hochzeits- und Friedhofs-Orchester den Nikolaisaal außer Rand und Band
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Der „Balkan-Express“ fährt mitten durch den Nikolaisaal. Die meisten Zuschauer springen begeistert auf, gehen frohgemuts auf Reise mit der schnaubenden Dampflok, die durch immer neue Ladungen angefeuert wird. Der Heizer dieses rasanten musikalischen Zuges trägt einen feinen weißen Anzug und heißt Goran Bregovic.
Von seinem Sitz in der Mitte der neunköpfigen Besatzung dirigiert der international gefeierte serbische Star mit fliegenden Armen die Route durch die Welt des Balkan Brass, in der es nur so scheppert, johlt, hustet und Funken stiebt. In einer Mischung aus Militärorchester und Folkloregruppe mit Anleihen in der Klezmer- und Roma-Musik bringt Bregovics Wedding und Funeral Band ganze Familien in Schwung. Während Oma auf ihrem Sitz mitwippt, hopst die Enkelin ausgelassen auf dem Gang.
Nehmen anfangs die Musiker mit ihren voll tönenden Fanfaren das Publikum in die Mitte, schließen am Ende die Besucher in einer tanzend-wogenden Masse den Kreis um die fast leer gefegte Bestuhlung. Und das in dem sonst so wohl geordneten Nikolaisaal. Nur wenige harren ungerührt aus, lassen das blasende Unikum aus der Distanz vorüber ziehen.
Die blecherne Karawane macht zwischen der atemlosen Jagd zu immer neuen Sehnsuchtszielen aber immer wieder auch willkommene Pausen, in denen die zwei prachtvoll geschmückten Bulgarinnen glockenrein ihre schmachtenden seelentiefen Wünsche heraus singen können. Der studierte Philosoph und Filmkomponist Goran Bregovic schürt mit seiner Musik gehörig die Fantasie. Man sieht Wiesen vor sich mit Heu machenden Frauen, Bauernhöfe mit wild durcheinander redenden Tieren, dunkle Wälder, in denen sich Kobolde vergnügen.
Die blasenden Herren der musikalischen Schöpfung wirken wie kräftige Waldschrate aus weichem Holz, die die Rhythmen nur so metern. Wenn der kräftige Glatzkopf Stojan Dimov sein Saxophon bläst, ist das wie ein sanftes Streicheln und zugleich wie ein Furcht einflößendes Muskelspiel. Dieser Baum von einem Mann trinkt sicher noch jeden unter den Tisch. Denn auf dieser Reise wird auch kräftig gezecht: Der Cocktail „Alkohol: Slijivovica & Champagne“ wurde von Goran Bregovic in Erinnerung an seine Eltern gemixt. „Meine Mutter ließ sich von meinem Vater scheiden, weil er – wie die meisten Offiziere – zu viel Slivovic trank. Nachdem sie ihn verlassen hatte, unterzog er sich einer Therapie, um mit dem Trinken aufzuhören. In den folgenden 15 Jahren war er trocken. Nach dem Tod seiner Frau bepflanzte er einen Weinberg, der jährlich 1000 Liter abwarf. Er lebte 20 Jahre länger als meine Mutter und trank die 1000 Liter fast allein“, schrieb Goran Bregovic zu seiner neuen CD.
Und während des ungestümen, doch friedlichen Zechens gesellen sich andere Helden dazu, wie Bregovic’s „Karmen“, die große Flamenco-Königin, die bei ihm allerdings nicht erdolcht wird, sondern ein fulminantes Hochzeitsbankett erlebt. Denn Balkan Brass ist zuvorderst eine illustre Festmusik, bei der die Trauer aber nicht ganz ausgeschlossen wird. Und so gibt es auch ein kurzes Beerdingungslied und die Fahrt „In the Death Car“, einem Song aus Emir Kusturicas Film „Arizona Dream“, dem Bregovic wie auch anderen Kusturica-Filmen die verschiedensten Facetten des Lebens musikalisch eingeschrieben hat.
Exotik, Charme, Seele und vor allem unbändige Energie, die zum Tanzen, Trinken und Feiern einlädt, macht diese Reise in den Osten zu einem rauschenden Fest. Doch Vorsicht an der Bahnsteigkante: Wer sich auf die Fahrt mit dem Balkan-Express von Goran Bregovic und seiner Crew einlässt, kann schnell süchtig werden.
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