Kultur: Im Rhythmus der Revolte
Die Collage F.U.C.K. über die 68er wurde am Hans Otto Theater uraufgeführt
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Die einen sind ratlos, die anderen aufgewühlt. An F.U.C.K scheiden sich die Geister. Vor allem das jugendliche Publikum weiß kaum, die zweistündige Bilderflut zu deuten. Nur an der Musik ihrer Großeltern, an Beatles und Stones, können sie sich festhalten. Es ist harte Kost, die Serge Weber mit seiner Collage im Hans Otto Theater auffährt. Dabei fängt alles so harmlos an. Der bravourös agierende Schauspieler Kay Dietrich nimmt inmitten der Zuschauer Platz, plaudert über Akustikprobleme und Nachhall-Zeiten, als wenn es nichts Wichtigeres auf der Welt zu verhandeln gäbe. Doch weit gefehlt. Auf einem Drehschemel baut er es auf: das kleine Theater, das gleich in voller Größe und Wucht über sich hinaus wachsen wird und auf Zeitreise zurück in die 68er geht.
Die ergrauten Beatles fahren auf die Bühne, schwerhörig, an Rollstühlen gefesselt. Ihre Glanzzeit ist vorbei. Oder doch nicht? Noch einmal dürfen sie ihre Hits singen. Die Glut ihrer Leidenschaft ist noch nicht verloschen. Doch dieses anfänglich sehr vergnügliche Revival ist kein bloßer Abgesang von „Revolution“ und „Jumpin Jack Flash“. Zu den nur noch schwach lodernden Feuerzeugen zwischen freier Liebe und Joint mehren sich die düsteren Zwischentöne. Nach dem Strip der Beach Boys mit Badeente und Schwimmflossen und der in der blauen Tonne entsorgten Heintje-„Mama“ wird an das Massaker von My Lai erinnert, wo 500 Vietnamesen den Amerikanern zum Opfer fielen. Die Wahrheit wird aus einem der Schlächter von Vietnam herausgeprügelt. „Ich wollte doch nicht mitmachen, das war doch der Krieg“, stammelt er, während sich der jugendliche Widerstand formiert. „Lasst den Kaffee, lasst die Sahne, greift die rote Fahne“, rebellieren sie und rütteln an dem eisernen Gitter, das die bunte Flower Power-Welt vergessen macht.
„Wie kann man solche linke Scheiße von sich geben? Kann das Theater keine anderen Stücke spielen? “, empört sich ein Zuschauer und verlässt seinen Platz. Das Licht geht an. Das Spiel wird unterbrochen. Dieses Intermezzo ist indes inszeniert, hätte aber wohl auch echt sein können. Denn nicht jeder wird sich in dem ambitionierten Revoluzzertum des wohl Noch-Immer-68ers Serge Weber wiederfinden. Der macht aus seinem Herzen keine Mördergrube, zeigt in sprachgewaltigen Bildern, wie sehr er der einstigen Leichtigkeit des Seins nachhängt und gegen die bleierne Zeit des Jetzt opponiert. Dafür findet er in der sich gegenseitig antreibenden Melange von Musik und Tanz einen elektrisierenden Rhythmus. Und die Bass-Soli von Ramani Krishna setzen diesem noch wahre Glanzlichter auf.
Nur auf die Texte fällt es mitunter schwer, sich bei all“ den Sinnesreizen einzulassen. Es gibt indes auch sehr aufwühlende Momente, so wenn Philipp Mauritz den Traum von Martin Luther King in schlichter Eindringlichkeit spricht – bevor die tödlichen Schüsse fallen. Oder wenn Peter Pauli wie in einem Zirkus Dali zwischen Genie und Wahnsinn etwas Schwebendes verleiht. Wenig später steckt sich ein Pfarrer in Brand, um für den Prager Frühling ein Zeichen zu setzen. Die Studenten boykottieren den Unterricht. Sie haben das dialektische Gequatsche ihrer Professoren satt, wollen nach dem Tod von Benno Ohnesorg den Kampf.
Auch die RAF formiert sich, allerdings zu einem unsortierten Haufen. Wie Würmer winden sie sich auf dem Boden, ausgespien von der Gesellschaft. „Töte und denke nicht an die, die du töten wirst. Die Engel werden dir vergeben“, sprechen sie sich Mut zu. „Blackbird singing in the dead of night“, beschwören die Terroristen den Song der Beatles. Zuvor betritt hochschwanger eine Braut in weißem Kleid die Bühne – und zersticht die Frucht, die sie in sich trägt. Bluthochzeit. Es ist Ulrike Meinhof, die Jennipher Antoni hier gibt. Doch für diese Erkenntnis benötigt man schon das Programmheft, ein Schlüssel, der des öfteren zur Hand sein müsste, um den Intentionen der Regie auf die Sprünge zu kommen. Aber auch wenn sich nicht alles erschließt: das Gefühl wird mitgerissen.
Was bleibt am Ende von der atemlosen Zeit, die wie ein Sturm über Europa hinweg fegt? Die Grabrede des Pazifisten, der daran erinnert, dass 50 Prozent der Erdbevölkerung an Hunger leidet. „Und wenn Sie heute mehr gesund als krank aufgewacht sind, geht es ihnen besser als der Million, die diese Woche nicht überleben wird.“
Ist der Mensch ein Egoist oder ist er für alle verantwortlich, fragen sich Andreas Baader und John Lennon am Lagerfeuer. Die Inszenierung gibt ihre klare Antwort. Der „Gast“, beseelt und kraftvoll getanzt von Krzyszof Raczkowski, der immer wieder die Figuren auffängt und ihnen auf die Sprünge hilft – wie der sich emanzipierenden Frau (wunderbar Rita Feldmeier) – wird am Ende gesteinigt. Und alle schauen tatenlos zu. So wie bei Jesus am Kreuz. Seine Hände und Füße bluten. Er scheint sich vom Diesseits erneut zu verabschieden. Doch noch einmal nimmt er den Stein auf, zögert – und legt ihn schließlich doch auf den kleinen runden Schemel. Der Kreis schließt sich. Das Spiel kann von Neuem beginnen.
Trotz dieses Hoffnungsschimmers bleibt der Zuschauer niedergedrückt auf seinem Stuhl zurück. Der Krampf in der Magengrube will sich auch beim langen Beifall nicht recht lösen. Die eingeströmte Bilderfülle lässt sich kaum entwirren, braucht Zeit, sich zu sortieren. Derweil eine tiefe Verbeugung vor einem großartig auftrumpfenden, vitalen Ensemble, das tanzt, bis die Bühnenbretter beben und facettenreich den Bilderbogen malt. Jeder Einzelne auf seine besondere Weise.
Eine stringent erzählte Geschichte mit einer Identifikationsfigur hätte vielleicht auch Jugendliche mit auf diese Reise genommen. So wie es bei Forrest Gump gelang. Die auf Anspielungen und Poesie setzende Inszenierung, für die Matthias Schaller einen atmosphärischen Bühnenraum und Renate Schmitzer peppige Kostüme schuf, setzt sehr viel voraus. Die Älteren haben weniger Probleme, auch wenn sie aus Ostdeutschland sind und die 68er nur durch den Eisernen Vorhang beäugen konnten. Der Abend ist aufrüttelnd und lässt so schnell nicht los. Respekt vor einem Fantasie, Leidenschaft und politische Wachheit beschwörenden Regisseur, der dem Publikum nichts schenkt.
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