Kultur: Im Sog der Erinnerungen Jens Sparschuh liest aus „Ende der Sommerzeit“
Diese Skizze ist eine Zumutung. Aber Menschen sind schon auf viel schlimmeres Gekrakel hereingefallen, wenn es mit dem Versprechen auf etwas Besonderes verbunden ist.
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Diese Skizze ist eine Zumutung. Aber Menschen sind schon auf viel schlimmeres Gekrakel hereingefallen, wenn es mit dem Versprechen auf etwas Besonderes verbunden ist. So ergeht es auch dem namenlosen Icherzähler in Jens Sparschuhs jüngstem Roman „Ende der Sommerzeit“ (Kiepenheuer und Witsch Verlag, 19,99 Euro). Seine geruhsamen Tage als Gastdozent an einem amerikanischen College neigen sich dem Ende zu – nur einmal in der Woche muss er sich „mit einer übersichtlichen Gruppe hochmotivierter Studenten über deutsche Literatur und Geschichte“ unterhalten –, da erreicht ihn eine Einladung von Gregori Galin. Der ist Professor der Russisch-Abteilung des Colleges und wie der Icherzähler ein großer Vladimir-Nabokov-Verehrer. Galin rückt nun besagte Skizze in den Mittelpunkt des Interesses. Gezeichnet von Nabokov selbst, zeigt sie den Ort im Brandenburgischen, wo Nabokov 1929 ein Grundstück gekauft haben soll, um sich dort wegen seines Heimwehs nach Sankt Petersburg eine Datscha bauen zu lassen. Zurück in Berlin, soll der Icherzähler sich auf die Suche nach jenem Ort machen, der auch in Nabokovs Krimi „Verzweiflung“ eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Dann kommt noch Deborah, feministische Literaturwissenschaftlerin, mit ein paar Hinweisen ins Spiel und die Suche kann beginnen. Am heutigen Mittwoch stellt Jens Sparschuh „Ende der Sommerzeit“ in Potsdam vor.
Dass diese Suche nach dem ominösen Datschengrundstück ins Leere läuft, ist dem Leser schon nach wenigen Seiten klar. Denn letztendlich sind die Ausflüge in das Brandenburgische für den Icherzähler eine Reise in die eigene Vergangenheit, wo er als Kind viele Sommer verbrachte. Gleichzeitig weckt diese Suche auch die Erinnerung an seine erste Liebe. Sparschuh, dessen „Der Zimmerspringbrunnen“ und „Im Kasten“ immer wieder nur empfohlen werden können, erzählt in „Ende der Sommerzeit“ von einem Expertentum in Sachen Nabokov, das in seiner Beschränktheit für herrliche Volten sorgt. Dazu der Kontrollzwang des Icherzählers und dessen Unlust an Entscheidungen. All das in einem leichten, detaillierten und humorvollen Ton. Allein das macht diesen Roman schon zu einem Lesevergnügen. Doch dann breitet Sparschuh, selbst ein großer Freund von Nabokovs Werk, ein anspielungsreiches Panorama mit Nabokovbezügen aus, das es wahrlich in sich hat. Und als ob er den großen und recht eigensinnigen Nabokov auch ein wenig ärgern möchte, bringt er auch noch den Psychoanalytiker Siegmund Freud ins Spiel, den der Schriftsteller von „Lolita“ und „Pnin“ nur als „Wiener Würstchen“ verspottet hat. Und so treibt Sparschuh ein herrliches, launisches und oft auch kalauerlastiges Spiel mit diesen Gegensätzen. Ein Spiel mit dem an Nabokov geschulten Bewusstsein für jegliches Detail und der trügerischen Schönheit der Erinnerung, das die Lust weckt, den Meister selbst mal wieder zu lesen. Dirk Becker
Jens Sparschuh stellt „Ende der Sommerzeit“ am heutigen Mittwoch um 19 Uhr in der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, vor. Der Eintritt kostet 8, ermäßigt 6 Euro.
Dirk Becker
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