Kultur: Im Sprachraum
Heute erscheint der neue Roman „Kältere Schichten der Luft“ von Antje Rávic Strubel
Stand:
Liebe ist die schwerwiegendste Wiederholung in unserem Leben. Dieser Satz hat Gewicht und fordert Schweigen. Ein Schweigen um nachzudenken. Für einen Moment werden die Gespräche an den Nachbartischen, das Gläser- und Tassengeklapper im Babelsberger Lindencafé zu mehr als nur beiläufigem Hintergrundrauschen. Der Alltag donnert störend in den Ohren, während man diesem Satz nachhängt.
Die in Potsdam lebende Schriftstellerin Antje Rávic Strubel ist eine Meisterin dieser scheinbar beiläufigen und dabei so wuchtigen Sätze, die nachklingen und einen nicht mehr loslassen wollen. Auch ihr neuer Roman „Kältere Schichten der Luft“, der heute in die Buchhandlungen kommt, beginnt mit so einem Satz. „Vom Licht wussten sie alles“, dann folgt ein Absatz. Und als ob mit diesem einfachen Satz eine Saite angeschlagen wurde, klingen diese fünf Worte knapp 200 Seiten bis an das Ende des Romans mit.
In „Kältere Schichten der Luft“ erzählt Antje Rávic Strubel die Geschichte von Anja und Siri, die in Schweden vorsichtig zueinander finden und mit ihrer Verliebtheit versuchen, ihr bisheriges Leben, ihre Identität hinter sich zu lassen. Zwei Frauen um die 30, die sich wie Teenager geben und aus alten Lebensentwürfen ausbrechen, sich gegen Konventionen auflehnen und dadurch den Widerstand ihrer Mitmenschen provozieren. Mit „Kältere Schichten der Luft“ ist Antje Rávic Strubel unter anderem neben Wilhelm Genazino und Ingo Schulze für den diesjährigen, mit 15 000 Euro dotierten Leipziger Buchpreis nominiert.
„Es gibt kaum ein Gefühl, dem nicht immer schon ein Filmzitat zugrunde liegt“, sagt Antje Rávic Strubel an einem späten Februarnachmittag im Lindencáfe. Auf der Leinwand wird die romantische Liebe vorgegaukelt und prägt unsere eigene Vorstellung von Liebe. Und jede neue Liebe, an der wir uns versuchen, ist nur Wiederholung, so lange wir uns nicht aus festgelegten Lebensstrukturen befreien. Genau das versuchen Anja und Siri in „Kältere Schichten der Luft“.
Antje Rávic Strubels Blick ist offen, ihre schwarzes, kurzes Haar fällt zu einem Scheitel. Sie trägt zur schwarzen Hose ein schwarzes Hemd, auch ihr Mantel ist schwarz. Ihr Gesicht könnte man kantig nennen, wären da nicht diese weichen Züge. Eine zierlich wirkende Frau von 32 Jahren, die viel Ähnlichkeit mit Anja aus ihrem neuen Roman hat.
Fünf Jahre lang war Antje Rávic Strubel jeden Sommer in einem Camp in Schweden und hat dort gearbeitet, wie Anja. Dazu die Ostbiographie, das gleiche Alter, die Liebe zu Frauen und die fast identischen Vornamen. Hat man „Kältere Schichten der Luft“ gelesen und sitzt danach der Autorin gegenüber, sucht man bei ihr fast schon zwangsläufig die Narbe von der Anja im Buch sagt: „Die Narbe an der Augenbraue war das einzige, was mich von den anderen unterschied“. Antje Rávic Strubel lächelt über diese Gleichsetzung von Ich-Erzählerin und Autorin. „Grundsätzlich gehe ich beim Schreiben von mir weg, denn die Distanz macht es leichter.“ Doch schreibe sie nur über Dinge, mit denen sie sich auch sonst beschäftige. Trotzdem sei ihr neuer Roman, bei allen Ähnlichkeiten mit ihr, nicht biographisch.
Seit Oktober lebt Antje Rávic Strubel wieder in Potsdam. Schon während ihres Studiums an der Potsdamer Universität hatte sie ein Jahr in der Stadt gewohnt. Wegen ihrer Freunde zog sie dann nach Berlin. „In Berlin war ich immer mit einem konkreten Ziel unterwegs. Hier in Potsdam kann ich mich auch mal treiben lassen“, sagt sie. Antje Rávic Strubel schätzt das Lebensgefühl, das ihr hier durch die Ruhe, die Nähe zur Natur und zum Wasser vermittelt wird. Ein Lebensgefühl, sagt Antje Rávic Strubel, das auch gut für das Schreiben sei.
Aufgewachsen ist sie in Ludwigsfelde. Dort hat sie früh mit dem Schreiben begonnen. Fragt man Antje Rávic Strubel warum, antwortet sie, dass sie es nicht mehr genau wisse. „Vielleicht, weil man im Erleben einer Situation nie genau genug hinsehen kann.“ Beim Schreiben, das dann zu einer Art Reflexion wird, könne man das nachholen. Sie hat damals viele Künstlerbiografien gelesen und war begeistert von den Rauschzuständen, in die sich die Musiker und Maler bei ihrer Arbeit immer wieder versetzten. „Ich konnte weder komponieren, noch malen. Dann wurde mir klar, dass ich ja einen Text lese. Also mussten auch Worte solche Rauschzustände auslösen können.“ Das wollte sie auch.
Antje Rávic Strubel schrieb Kurzgeschichten, die ihrer Lehrerin auffielen. Sie fuhr in den Ferien in so genannte Spezialistenlager für Maler und Poeten. Ernst wurde es für sie jedoch erst Mitte der 90er Jahre, als sie sich für ein Stipendium bei der Kulturstiftung bewarb, dieses erhielt und sich so in der Pflicht sah, auch etwas zu schreiben. Ihr Debüt „Offene Blende“, das im Frühjahr 2001 erschien, sorgte gleich für Aufsehen. Es folgten im selben Jahr der Roman „Unter Schnee“ und im Herbst 2002 „Fremd Gehen“. Im Sommer 2004 erschien ihr vierte Roman „Tupolew 134“, mit dem sie sich aus der Riege der ewigen Fräuleinwunder heraus schrieb. Mit „Kältere Schichten der Luft“ zeigt sie nun, das sie dieses Niveau halten wird. Doch allein von ihren Romanen kann Antje Rávic Strubel nicht leben.
Seit Jahren arbeitet sie nebenbei als Journalisten, gelegentlich für Tageszeitungen, regelmäßig für das Radio. Sie nutzt Stipendien, dazu kommen Lesungen. Doch damit sich Antje Rávic Strubel ihre Unabhängigkeit bewahren kann, hat sie noch mit dem Übersetzen begonnen. Sie nennt das auch Sicherheitsleinen für den Fall, dass sie eines Tages eine Schreibhemmung haben sollte. Bisher sei das nie der Fall gewesen, sagt Antje Rávic Strubel. Ein Band mit Kurzgeschichten soll im Herbst herauskommen, die ersten Arbeiten an einem neuen Roman hat sie begonnen.
Im September erschien mit „Das Jahr magischen Denkens“ ihre Übersetzung der amerikanischen Schriftstellerin Joan Didion. Während ihrer regelmäßigen Amerikaaufenthalte hat sie die Romane und Sachbücher von Joan Didion kennen und lieben gelernt. Dieser Sprachrhythmus, von dem für sie ein unfassbarer Sog ausgeht. Sie wollte herausfinden, ob sie das auch ins Deutsche übertragen kann. Ihr Versuch ist gescheitert. „Die englische Grammatik macht kürzere Sätze möglich, beim Übersetzen entstanden jede Menge Nebensätze.“ Irgendwann merkte sie aber, dass sie mit den längeren deutschen Sätzen auch das sprachliche Umkreisen, mit dem Joan Didion die Trauer um den plötzlichen Tod ihres Ehemanns begreifbar zu machen versucht, darstellen kann. Und sie fand einen Rhythmus, der Didions Sprache auch im Deutschen klingen lässt.
Sprache erlebbar machen, das ist Literatur für Antje Rávic Strubel. Wenn sie Romane liest, dann weniger wegen der Handlung, sondern wie hier Sprache fesselt, verzaubert, fühlbar wird, wie sich ein Sprachraum öffnet, in den man eintreten kann. Fast jeden Tag sitzt sie morgens an ihrem Schreibtisch und versucht, ihren eigenen Sprachraum zu öffnen. Nicht immer gelingt das. Dann hat sie nach Stunden des Schreibens das Gefühl, nicht einmal einen vernünftigen Satz aufs Papier gebracht zu haben. Doch wenn sich der Raum öffnet, dann erlebt sie manchmal diese Rauschzustände, von denen sie in den Künstlerbiografien gelesen hat. „Die Sprache wird zu meinem Atem, entzündet Körper und Geist“, sagt Antje Rávic Strubel und fügt hinzu, dass das wahrscheinlich etwas abgehoben klingen mag. Aber besser könne sie das jetzt auch nicht erklären. Muss sie auch nicht. Dafür gibt es ihre Bücher mit diesen scheinbar beiläufigen und dabei so wuchtigen Sätze, die nachklingen und einen nicht mehr loslassen wollen.
Antje Rávic Strubel: Kältere Schichten der Luft. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 200 Seiten, gebunden, Euro 17,90
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: