Kultur: Im Süden bezwungene Darmträgheit
Italiensehnsucht in Selbstzeugnissen/ Persius auf dem Belvedere
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Italiensehnsucht in Selbstzeugnissen/ Persius auf dem Belvedere Von Dirk Becker Er blieb lange Zeit der dritte Mann im Hintergrund. Fast schon in den Schatten gestellt von zwei Großen. Schinkel? Na klar! Stüler? Sowieso! Und Persius? Zu oft fragende Gesichter. Ludwig Persius, der das architektonische Treiben im Brandenburgischen zwischen orientalistischer Romantikversessenheit, überbordendem Klassizismus und zurückhaltendem Gotizismus, das Schinkel und Stüler begannen, weiterführte, eigentlich erst vollendete, ihm ging es wie dem Belvedere auf dem Pfingstberg. Im Niemandslandgestrüpp jahrelang dem Verfall preisgegeben, strahlt es erst seit kurzer Zeit wieder seine südlich inspirierte Noblesse über die Stadt. Persius“ wiederhergestellter Entwurf nach der Villa Caprarola droben auf dem Pfingstberg, er gehört wohl zu dem Schönsten, was diese Stadt architektonisch zu bieten hat. Und wie das Belvedere, so trat auch Persius spätestens in diesem Jahr mit der Ausstellung anlässlich seines 200. Geburtstages aus dem unverdienten Schatten. In seinen Tagebuchaufzeichnungen begegnet uns Ludwig Persius als sachlicher Mensch, geprägt von seiner Arbeit als „Architekt des Königs“, zu dem ihn Wilhelm IV. 1841 ernannte. Und als solcher galt die Tätigkeit Persius“ vor allem einem – der Italiensehnsucht seines Königs in Potsdam und Umgebung Gestalt zu geben. Diese Italiensehnsucht Wilhelm IV. und die zahlreichen Vorschläge und Pläne seines Architekten in Selbstzeugnissen, verpackt in einer musikalisch-theatralischen Darbietung, wo hätte sie besser präsentiert werden können als auf dem Belvedere? Und war die Idee an sich schon reizvoll, so kann deren Umsetzung am vergangenen Freitag nur als gelungen bezeichnet werden. Der Schauspieler K. Dieter Klebsch gab an diesem lauen Sommerabend den König. Las von der Balustrade aus Briefen Wilhelm IV., die dieser von seiner Italienreise 1828 an seiner Frau Elisabeth, seinem „geliebten Lorchen“, schrieb. Er berichtet hier von der Reise von Mailand über Verona nach Rom. Ergeht sich in seiner Begeisterung für Genua, schätzt sich glücklich, endlich den „lange entbehrten Stuhlgang gehabt“ zu haben und lässt es sich nicht nehmen, auch noch zynisch satt über den Papst zu lästern. Ein wieder mal glänzender Hans-Jochen Röhrig, in kleiner Jolle auf das Wasserbecken verbannt, gab aus Heinrich Heines Reisebildern die „Ohrfeigen aus Trient“. Heine, hier ganz besoffen von seinen Eindrücken, mit einer Obstfrau auf dem Marktplatz zusammenprallend, die, als „lebende Menschenruine“ das, was sie „an Jugend eingebüßt, an Gewicht zugenommen“ hatte. Und hier wie in „Die Busenrose“, Heinrich Heine in der ihm eigenen Art für die italienischen Mädchen schwärmend, voller Sprachwitz und treffsicherster Ironie. Zwischen den Lesungen das Persius Ensemble, mehr als hervorragend. Mit der Ouvertüre aus Rossinis Oper „La Scala di Seta“ einen beschwingten Auftakt gebend, dann mit einer ihrer Spezialitäten, einem Nonett von Nino Rota. Weiter mit Spohr, Farrenc und Mendelssohn Bartholdy. Die neun Musiker dabei kraftvoll, aber nie übertrieben. Nuanciert im Wechselspiel der Streicher und Bläser, mal aufbrausend keck, jeder um die Solostimme buhlend, dann wieder streng in geordneter Formation ins kompromisslose Finale. Überzeugend dabei mit fast jedem Ton. Der zweite Teil des Abends gehörte nahezu ausschließlich den Tagebuchaufzeichnungen des Architekten Ludwig Persius. Klebsch und Röhrig hier im Wechsel die Entstehung von Orangerie, Heilandskirche in Sacrow, Fontänen und dem Belvedere nachzeichnend. Ein dienstbeflissener Persius und ein wohlwollender Wilhelm IV., beider vereint in dem Streben, soviel Italien wie möglich nach Potsdam zu holen. Dass dies gelang, die letzte Überzeugungsarbeit leitstete an diesem Abend das Belvedere selbst in werdender Nacht. Und spätestens hier reifte in einem die Überzeugung, dass Persius langsam beginnt, den anderen die Show zu stehlen. Eine Entwicklung aber, über die man sich keineswegs Sorgen machen sollte.
Dirk Becker
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