Kultur: Im Tastentaumel
Die drei Akkordeonisten des Motion Trios mit Filmmusiken im Nikolaisaal
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Cineasten wie Liebhaber experimenteller Musikprojekte konnten gleichermaßen aufmerken, als am Freitagabend im Nikolaisaal zum wiederholten Male die Krakauer Akkordeonisten des Motion Trios angekündigt waren. Die drei Künstler, allesamt Absolventen der renommierten Krakauer Musikakademie, hatten sich zum Ziel gemacht, sämtliche Vorurteile gegenüber ihrer auch liebevoll Quetschkommode genannten Instrumente über den Haufen zu werfen und stattdessen mit Facettenreichtum und Experimentierfreude zu überzeugen.
Da liegt es nahe, nach Gleichgesinnten Ausschau zu halten. Und so kam es, dass, nachdem die französische Rockband We Insist mit ihrem ganz persönlichen Soundtrack zu Walter Ruttmanns Stummfilmklassiker „Sinfonie der Großstadt“ in der „fabrik“ gerade erst die Stadt verlassen hatte, die Liebhaber des Genres erneut auf ihre Kosten kamen.
Das Motion Trio hatte für den ersten Teil des Abends die Live-Vertonung von Lew Kuleschows „Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki“ (1924) im Gepäck. Der Regisseur galt als Revolutionär seiner Zeit, da er die Sprache des Films weg von übertriebener Theatralik hin zu Montage und Trickaufnahmen im Geiste des amerikanischen Detektivfilms führte, und die gewitzte Interpretation des Films durch das Motion Trio hätte sicher seinen Zuspruch gefunden.
Es hupte, klingelte, schlürfte, schleifte und schoss in einer Tour, als der unbedarfte Mr. West, gerade in Moskau angekommen, bereits von einer gerissenen Diebesbande bestohlen und aufs Gemeinste hinters Licht geführt wird. Cowboy Jeddy, der als Begleitung des Amerikaners ein Auge auf diesen haben soll, verliert sich durch ein Missgeschick im Moskau der 20er Jahre, und ehe er seinen Schutzbefohlenen aus den Armen der Banditen befreien kann, hat dieser Todesängste auszustehen. Der Film spart nicht an dramatischen Verfolgungsjagden und herrlich überzogenen Betrügereien. Und so fällt der musikalische Background, tatsächlich lediglich mit Hilfe der drei Akkordeons erzeugt, ähnlich rasant und lautstark aus. Das verursachte einige Lacher, ging aber auch beinahe an die Grenzen der Aufmerksamkeit. Umso ausgleichender wirkte dann der zweite Teil des Abends.
Film blieb nach wie vor das Thema des Programms, denn mit den folgenden Stücken erwies das Trio dem Filmmusiker Michael Nyman, bekannt vielleicht vor allem durch „Das Piano“, seine ganz persönliche Wertschätzung. Dessen Kompositionen, die eine Verbindung aus Klassik und Moderne bilden, entsprechen dem Credo des Motion Trios ebenso wie die Neuerungen des Regisseurs Kuleschow und wurden so zu einem weiteren verbindenden Element des Abends, der im zweiten Teil eindeutig seinen Höhepunkt fand.
Das Publikum ließ sich von Minimalismus, Virtuosität und Getragenheit des Soundtracks zu „Drowning by Numbers“ von Peter Greenway ebenso hinreißen wie von den effektvollen, beinahe in Trance versetzenden Eigenkompositionen „Carrousel“ oder „Silence“. Bei geschlossenen Augen hätte man auf eine ganze Band getippt, doch da vorn auf der Bühne saßen lediglich drei junge Männer, die ihren Instrumenten Töne entlockten, die Jazz, Rock oder Elektro gleichermaßen bedienten und deren Hingabe die stehenden Ovationen in jedem Fall rechtfertigte. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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