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Kultur: Im wilden Galopp zur Melancholie Die 17 Hippies in der Schinkelhalle

Es ist wie eine kleine Weltreise. Im Rhythmus des Kasatschoks eilt man über den Roten Platz, hält inne unter dem weichen Laternenlicht des Montmartre, um sich im nächsten Moment im Country-Drive durch die Prärie reiten zu sehen.

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Es ist wie eine kleine Weltreise. Im Rhythmus des Kasatschoks eilt man über den Roten Platz, hält inne unter dem weichen Laternenlicht des Montmartre, um sich im nächsten Moment im Country-Drive durch die Prärie reiten zu sehen. Auch der dunkle deutsche Wald steigt auf im Land der Fantasie und scheint im Wispern von Kontrabass und Geige ahnungsvoll zu rauschen. Und immer wieder wird man gefangen genommen von den klagenden, sehnsuchtsvollen Melodien des Klezmer, der in seiner Suche nach Heimat überall Spuren hinterließ. Die 13 „17 Hippies“ nehmen es trotz der wilden Parforce durch die verschiedenen Musikkulturen dennoch sehr genau: wohldosiert mischen sie zarte Melancholie mit ungestümer Ausgelassenheit. Immer fein abwechselnd, keiner wird benachteiligt. Und das Rezept funktioniert: Bei den leisen Tönen summen die dicht gedrängt die Schinkelhalle füllenden Hippieaner mit und wiegen sich sanft in den Hüften. Doch heißt es wieder „Yippie yeah“, hopsen alle wie auf Kommando elektrisiert auf ihren eng bemessenen Plätzen. Johlen, Pfeifen, Klatschen – die Berliner Band hat ihr Potsdamer Publikum am Haken. Gern zappelt es an ihm, jegliche Tristesse und winterlichen Depressionen abschüttelnd. Ob sechs oder 60 – alle lassen sich berauschen von dem musikantischen Treiben: von der Kraft jedes Einzelnen gemeinsam. Ob an Klarinette, Ukulele, Akkordeon, Geige oder Posaune – die Musiker brillieren in ihren solistischen Parts und können auch bescheiden für die anderen ein Stück zurück treten und ihnen den roten Teppich legen.

Da singt Kiki von Einsamkeit, massiert in ihrem französischen Chanson von der Unsichtbaren behutsam die verwundete Seele. Die Feuerzeuge gehen in die Höhe. Kaum zu glauben, dass es im Französischen kein Wort für Sehnsucht gibt. Dann wieder gibt das Akkordeon dem wilden Hengst die Sporen und alle sitzen auf. Die dumpfe Klarinette durchwühlt dicke Nebelschwaden und das Akkordeon zeigt sich schicksalsschwer, dass die Paare vor der Bühne noch enger aneinander rücken. Doch wenig später heult die sanfte Klarinette Henry Notroffs auf wie ein schriller Bohrer auf dem Zahnarztstuhl.

Es ist wie beim Saunieren: heiß und kalt, im steten Wechsel. Die Jongleure der Töne rufen auf zum Alé Hopp. Und schon ist man mitten drin im tiefsten Dschungel, um wie bei „Peter und der Wolf“ das Gekreuch und Gefleuch des Waldes zu erkunden. Man hört das Grummeln der Bären, den Sturzflug der Vögel und schließlich das ungestüme Lostrampeln aller Vierbeiner, aufgescheucht durch eine unsichtbare Gefahr.

Auch ein Kanon wird angestimmt: Ba dam, ba dam ... Und jeder kennt seinen Text: Alle singen brav ihren Part und werden zu den vereinten Bada-Isten.

Zwischendrin gibt es ein paar müde Anekdötchen von der Tournee, wie das von den drei Parkplätzen, die allesamt nur für eine Frau freigehalten werden. Geschenkt! Nach 102 Konzerten darf einem am Ende des Jahres auch mal die Puste ausgehen. Jedenfalls beim Plaudern.

Musikalisch ließen die 17 Hippies auch bei diesem finalen Auftritt nichts anbrennen. Und das Publikum lodert mit bis zum letzten Akkord. „Wir sind fast zu Hause“, sagt Kiki. Es stimmt: So oder so.

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