Kultur: „Immer auf der Flucht“
Vor 60 Jahren starb Joseph Roth im französischen Exil. Am Donnerstag stellt Wilhelm von Sternburg seine Biografie über das dramatische Leben des Schriftstellers und Journalisten in Potsdam vor
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Herr von Sternburg, in einem Brief schrieb Joseph Roth: „Ich kann mich nicht im Literarischen kasteien, ohne im Körperlichen auszuschweifen.“ Warum neigte der große Schriftsteller und so scharfsichtige Journalist Joseph Roth mit Blick auf seine eigene Alkoholsucht zu solchen Beschönigungen?
Im Prinzip ist es eine Abwehrhaltung eines jeden Alkoholikers, dass er Begründungen sucht, um seine Drogensucht zu rechtfertigen. Bei Joseph Roth war das nicht anders. Vielleicht hatte er gegenüber einem „normalen“ Alkoholiker die große Ironie und Selbstbespiegelung, die ihn dann immer wieder spöttisch, nachdenklich und leidend über seine Alkoholsucht sprechen ließen.
In Ihrer Biografie über Joseph Roth widmen Sie sich ausführlich dem Phänomen Schriftsteller und Alkohol. Wer diese Seiten bei Ihnen gelesen hat, könnte zu dem Schluss kommen, dass Trinken zum Schriftstellerdasein dazugehören muss.
Den Eindruck kann man manchmal bekommen. Von sechs amerikanischen Literaturnobelpreisträgern waren fünf schwere Alkoholiker. Aber solch ein Schluss wäre zu einfach. Medizin und Wissenschaft haben längst nachgewiesen, dass Alkoholsucht eine Krankheit ist. Es gibt viele Ursachen, die zu einer solchen Sucht führen und zum Teil auch genetisch bedingt sein können. Es sind also nicht immer die tragischen Momente die Auslöser, auch wenn im Fall Joseph Roth teilweise besonders tragische, persönliche Erlebnisse hinter seiner Alkoholsucht gesteckt haben.
Wobei eine überdurchschnittliche Affinität zum Alkohol bei Künstlern nicht zu leugnen ist.
Künstler sind immer auch Einzelgänger, die ständig unter der Angst leiden, nicht mehr kreativ zu sein. Manche glauben dann, dass sie eine gewisse Stimulanz brauchen.
Joseph Roth soff oft bis zur Besinnungslosigkeit und malträtierte dadurch seinen Körper derart, dass der regelrecht verfiel. Sein Geist aber blieb davon verschont. Von Kreativitätsverlust kann bei ihm doch keine Rede sein?
Das ist richtig. Aber er war auch eine wirkliche Ausnahme. Denn in einer typischen Alkoholikerkarriere bedingt der körperliche auch einen geistigen Verfall. Bei Roth war das anders. Er verfiel körperlich total und starb mit nicht einmal 45 Jahren. Geistig aber ist er immer absolut auf der Höhe geblieben. Seine letzte, fast schönste Novelle schrieb er wenige Monate vor seinem Tod mit dem bezeichnenden Titel „Die Legende vom heiligen Trinker“.
Was das Schreiben betraf, war Joseph Roth sowieso ein Phänomen. Er zog sich nicht zurück ins stille Kämmerlein. Roth suchte die Gesellschaft, schrieb an Caféhaustischen und je lauter die Gespräche um ihn waren, umso besser konnte er schreiben.
Roth hat ein Bohéme-Leben geführt, als Mensch wie als Künstler. Er lebte fast nur in Hotels. Sein Zuhause waren die Bars und Cafés. Er saß am Tisch, schrieb Stunde für Stunde an seinen Manuskripten für Zeitungsartikel oder Romane und um ihn diskutierten seine Freunde und Bekannten.
Fast schon eine idyllische Vorstellung. Wäre da nicht die schwere Alkoholsucht und seine Ruhelosigkeit. Warum war Joseph Roth ein Getriebener?
Joseph Roth war ein Künstler und Mensch, der eigentlich immer auf der Flucht war. Hintergrund ist wohl vor allem auch seine Herkunft aus Galizien in Osteuropa, wo er vaterlos aufwuchs. Da war eine starke Sehnsucht, dem kleinbürgerlichen Milieu, aus dem er stammte, zu entkommen. Er ging nach Wien, nach Westeuropa, um ein großer Künstler zu werden.
Doch sein Leben blieb von schweren Schicksalsschlägen geprägt.
Die Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges haben ihn existenziell getroffen. Sein Vater, den er nie kennengelernt hatte, war wahnsinnig geworden. Seine Frau Friederike Reichler, die er sehr geliebt hat, wurde in den 20er Jahren wahnsinnig und verschwand in psychiatrischen Kliniken. Tiefe existenzielle Erlebnisse, die er zwar künstlerisch umsetzen konnte, an denen er aber menschlich schwer zu tragen hatte.
Hatte Roth auch am Judentum schwer zu tragen?
Joseph Roth hatte ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu seinem Judentum. Auf der einen Seite war er ein assimilierter Westjude, der sich ganz der deutschen und österreichischen Kultur zugehörig empfunden hat. Auf der anderen aber verachtete der die assimilieren Westjuden auch, weil er glaubte, sie hätten ihren Gott verraten. Ihnen stellte er in vielen Zeitungsartikeln und seinem großen Essay „Juden auf Wanderschaft“ das ideale Gegenbild vor: Den orthodoxen Ostjuden, der seinen Gott noch nicht verloren hatte.
Joseph Roth hat immer wieder seine Biografie, seine Herkunft verschleiert. Hat er das Jüdische als Last, vielleicht sogar als Makel empfunden?
Nein, denn Roth war ein sehr selbstbewusster Jude, der als Intellektueller sehr kritisch mit der jüdischen Gesellschaft umging. Das aber ist ein ganz typisches Zeichen eines Intellektuellen in jeder Gesellschaft, ob er nun jüdisch oder christlich ist.
In einem Brief aber schrieb er: „Seit 25 Jahren lebe ich als eine phantastische Erfindung.“
Die Verschleierung und die gelegentlichen Legendenbildungen betrafen ja nicht nur seine jüdische Herkunft. So hatte er auch erzählt, er sei Offizier im Ersten Weltkrieg gewesen, was er jedoch nie war. Er hat Geschichten über seinen Vater erfunden, den er doch gar nicht gekannt hatte. Das alles hat mehr mit der Selbststilisierung, mit Ironie, einer gewissen Eulenspiegelei und seiner kleinbürgerlichen Herkunft zu tun.
In Ihrer Danksagung am Ende des Besuches schreiben Sie: „Unverzichtbar ist der Hinweis auf den Roth-Biographen David Bronsen“. Warum haben Sie dann eine eigene Roth-Biografie geschrieben?
David Bronsens Biografie ist mittlerweile über 35 Jahre alt und jede Generation sieht das Leben eines Künstlers aus dem eigenen Zeitgeschehen heraus. Hinzu kommt, dass David Bronsen viel Material aus Archiven noch nicht zur Verfügung hatte. Bronsen war Germanist. Ich bin aber vor allem Historiker und habe Leben und Werk von Joseph Roth einbezogen in das Zeitgeschehen, in diese furchtbare erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das spielt in meiner Biografie, im Gegensatz zu Bronsen, eine starke Rolle.
Viele kennen heute Joseph Roth als Autor von Romanen wie „Radetzkymarsch“, „Kapuzinergruft“ oder „Hiob“. Ihre Biografie macht aber vor allem neugierig auf den Journalisten Joseph Roth.
Ja, weil ich Joseph Roth für einen glänzenden deutschsprachigen Feuilletonisten der 20er Jahre halte. Wie Sie sagen, ist der Journalist Joseph Roth gegenüber dem Romancier noch relativ unbekannt. Das war auch ein Grund für mich in dieser Biografie mit besonderem Nachdruck seine journalistische Karriere zu verfolgen.
Schrieb der Journalist Roth anders als der Romanautor?
Das kann man so nicht sagen. Faszinierend an Roth ist, dass man in vielen seiner journalistischen Arbeiten romanhafte Darstellungen findet, und in vielen seiner Romane erkennen sie sofort, dass er Journalist war. Das war seine große Stärke. Seine Artikel gehen weit über den normalen Journalismus hinaus und in seinen Romanen verlor er sich nicht in schwierigen Texten, blieb klar und verständlich.
Eine Stärke, deren er sich sehr genau bewusst war. Als Journalist ist er sehr selbstsicher aufgetreten.
Ja, er sagte einmal, dass seine Artikel nicht die Nachspeise, sondern das Hauptgericht seien. Und er verteidigte sehr selbstbewusst und, wie ich meine, auch sehr richtig, dass der gute Journalist auch ein guter Schriftsteller sein kann, sogar sein muss.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Wilhelm von Sternburg stellt am 16. April, 20 Uhr, sein Buch „Joseph Roth – Eine Biographie“ im Literaturladen Wist, Brandenburger/Ecke Dortustraße vor. Eintritt fünf, ermäßigt vier Euro.
Wilhelm von Sternburg, geb. 1939, war über 30 Jahre Journalist. Seit 1993 ist er freier Schriftsteller und hat u. a. Biografien über Arnold Zweig und Erich Maria Remarque veröffentlicht.
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