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Kultur: Impresario, Kraftfahrer, Hausmeister

Das Brandenburgische Literaturbüro feiert morgen sein zehnjähriges Bestehen

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Das Brandenburgische Literaturbüro feiert morgen sein zehnjähriges Bestehen Das Brandenburgische Literaturbüro feiert morgen in der Druckerei Rüss sein zehnjähriges Bestehen. Dazu kamen wir mit dem Geschäftsführer Hendrik Röder ins Gespräch, der das Büro und den Trägerverein mit begründete. Die Buchhandlungen quillen über vor Publikationen. Allein in diesem Jahr gab es 100 000 Neuerscheinungen. Braucht es da noch einen Anwalt für Literatur? Das Problem ist, dass heute jeder alles veröffentlichen kann. Es ist für die Autoren aber schwierig, in großen Verlagen unterzukommen. Auch wir bekommen sehr viele Manuskripte zugeschickt mit der Bitte, sie an die Verlage zu bringen oder Lesungen dafür zu organisieren. Oft sind wir damit überfordert. Worin sehen Sie Ihre Aufgabe? Wir wollen Autoren von außen, auch Weltliteratur, in Brandenburg präsentieren. Gerade nach der Wende waren wir von einem Aufklärungsdrang ergriffen, und wollten Literatur eine Stimme geben, die auf Grund der deutschen Teilung nicht so bekannt war. Und die brandenburgische Literatur bleibt außen vor? Nein, keineswegs. Sie steht aber nicht im Mittelpunkt. Dafür gibt es andere Vereine. Doch natürlich geben wir auch Autoren aus der Region ein Podium, wie Helga Schütz, Sigrid Grabner, Martin Ahrends, Grit Poppe, Julia Schoch, Antje Strubel, Günter de Bruyn oder Lutz Seiler. In Form von Lesungen . Wir organisieren jährlich rund 50 Veranstaltungen, Lesungen und Diskussionen, sowie Literaturausstellungen, wie derzeit „Die dritte Front“ im Kutschstall, die eine Kontroverse in den Medien ausgelöst hat. Wie groß sind die Risiken in Ihrer Arbeit? Wir bekommen zu 85 Prozent eine solide Landesförderung, die restlichen 15 Prozent müssen wir durch Eintrittsgelder oder eigene Publikationen aufbringen. Um unbekanntere, aber für uns wichtige Autoren, wie Wilhelm Genazino, vorzustellen, setzen wir zwischendurch auf Prominenz, die große Säle füllen kann, wie Marcel-Reich Ranicki oder Armin Mueller-Stahl. Aber auch große Namen sind kein Garant, wie Mario Adorf zeigte. Ja, das war ein Trauerspiel. Statt der erwarteten 700 Zuhörer kamen nur 200. Wir hatten uns einfach in der Auswahl der Texte verschätzt, doch Reinhold Schneider, um den es ging, war zu unbekannt, als dass ihn Adorf hätte rausreißen können. Also für Sie auch ein finanzielles Debakel? Mario Adorf war aufgrund des Scheiterns bereit gewesen, auf sein Honorar zu verzichten. Das zeichnet am Ende die großen Künstler aus. Und da steht er nicht allein. Auch Frank Schirrmacher, der in Potsdam gemeinsam mit Ex-Bildungsminister Steffen Reiche sein „Methusalem-Komplott“ diskutierte, spendete sein Honorar, weil ihm die Debatte so gefiel. Das finde ich schon erwähnenswert. Sie organisieren und moderieren ja nicht nur Veranstaltungen, sie begleiten die Autoren auch zu Lesungen, gehen mit ihnen anschließend essen Ja, das ist das Schöne an der Arbeit: Man ist Impresario, Kraftfahrer, auch mal Hausmeister und eben eine Art Betreuer. Da lernt man auch die Eigenheiten der Autoren kennen, cholerische Ausbrüche, Bescheidenheit, Größenwahn – eben alles allzu menschliche. Könnten Sie Beispiele nennen. Natürlich nicht. Aber vielleicht einige Episoden? Komisch fand ich es, als der polnische Nobelpreisträger Czeslaw Milosz aus Berkeley nach einer Lesung vor 400 Studenten in der Viadrina Frankfurt unbedingt zu Mc Donalds wollte. Ein etwas existentielleres Erlebnis hatte ich indes mit dem jüdischen Autor und Kunstsammler Carl Laszlo, der mich in seiner Schweizer Wohnung plötzlich mit der Pistole bedrohte, nur weil ich fragte, wo er denn seine Bilder aufbewahre. Dabei hingen sie in der Wohnung, waren aber bei den runtergezogenen Rollläden für mich nicht auszumachen. Und dann habe ich ihn auch bremsen müssen, als er im Waschhaus einen englischen Juden mit dem Stuhl erschlagen wollte, weil dieser zu erkennen gab, dass er zum Katholizismus konvertiert war. Laszlo selbst war als ungarischer Jude nach Auschwitz deportiert worden. Gibt es auch angenehmere Erinnerungen? Sehr berührt hat mich ein Besuch bei Imre Kertész in Budapest. Ich traf ihn in einer Ein-Raum-Wohnung an, die zugleich Arbeits- und Wohnzimmer war, nur mit kleinem Tisch und Sprelacartregal. Dort schrieb er seinen großen „Roman eines Schicksallosen“. Durch diese Begegnung bekam ich eine Ahnung von dem Lebenswerk des Autors und von der Bedrückung, die er während der kommunistischen Zeit Ungarns erfahren hat. Aus Verehrung für diesen außergewöhnlichen Autor und Menschen bringen wir jetzt eine CD heraus. Sie ist ein Mitschnitt der 1. Tafelrunde Sanssouci, die zeigt, wie ein ungarischer Jude in den 50er Jahren zum Wagner-Liebhaber werden konnte. Was erwartet die Potsdamer noch in Ihrem Jubiläumsjahr? Natürlich können sie zu unserer Feier kommen, bei der morgen ab 21 Uhr Renate Feyl, Wilhelm Genazino und Hellmuth Karasek lesen. Am Sonntag kann man noch einmal Martina Gedeck in Luckenwalde erleben. Und am 19. Oktober gibt es in unserer Ausstellung „Die dritte Front“ eine Diskussion, in der die Karrieremuster in Ost- und Westdeutschland nach 1945 beleuchtet werden. Mit dabei sind der Schriftsteller Rolf Schneider und der Historiker Jörg Friedrich. Zum Ende des Jahres sind wir dann gespannt auf die Präsentation der Autobiografie von Hellmuth Karasek. Das Interview führte Heidi Jäger.

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