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Kultur: In den Träumen so nah

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine beim Podiumsgespräch im Hans Otto Theater

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine beim Podiumsgespräch im Hans Otto Theater Es scheint alles so wie damals, vor dem Rücktritt. Bevor das Podiumsgespräch in der Reithalle A zur Frage „Was ist aus Ihren Träumen geworden?“ losgehen kann, mussten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi am Pressetross vorbei. Bereitwillig wurden vor Kameras noch Kurzinterviews gegeben, Blitzlichter flackerten. Sogar der Spiegel hatte jemanden geschickt. Der RBB zeichnete das Gespräch auf und schaltete live hinein. Im Saal warteten bereits 250 Zuschauer. Vordergründig sollten die beiden wohl bekanntesten linken Polit-Privatiers der Bundesrepublik von der Moderatorin Danuta Görnandt zu sozialistischen Gesellschaftsbildern befragt werden, wie sie in der Inszenierung von „Himmelsleiter“ des Hans Otto Theaters zentral sind. In diesem Stück von Ulrich Zaum bezahlen die kommunistischen Helden ihre Ideale mit Arbeitslager, Verfolgung und Tod. Im Hintergrund des Abends nährte jedoch anfänglich noch ein Interesse die Spannung im Saal, das über diese abstrakten Fragen hinaus reichte. Könnten Gysi und Lafontaine das Treffen vielleicht nutzen, um Hinweise auf eine zukünftige Zusammenarbeit – Stichwort Wahlalternative – zu streuen? Wer allerdings erwartete, die beiden Großsozis würden nicht nur Träume prägnant und Bonmots gesättigt formulieren, sondern eventuell auch Anstalten machen, sie im Sinne einer handelnden Politik auch wieder umzusetzen, der blieb sozusagen auf seinen Utopien sitzen. Die Moderatorin lieferte allzu brave Vorlagen, die in geübter Selbstinszenierung dankbar angenommen wurden. Schon mit der Einstiegsfrage an Lafontaine, ob er sich habe träumen lassen, dass ein „erzkonservativer Deutscher“Papst werden würde, zeigte in Richtung Harmlosigkeit und Versöhnlichkeit der Veranstaltung. Dass ein ehemaliger SPD-Parteivorsitzender, Kanzlerkandidat und Bundeswirtschaftsminister seine Träume selten auf die Papstnachfolge richtet, war schon vorher klar. Immerhin bot ihm der Verweis auf seine Erziehung in einer Priesterschule die Möglichkeit, die Wichtigkeit von Nächstenliebe und Gemeinschaft, die dort zu erfahren waren, mit dem von ihm geradezu verabscheuten Wort „Ich-AG“ in Kontrast zu setzen. Gysi schmollte unterhaltsam, weil er nicht zum Papst befragt wurde, lobte den Pontifex trotzdem als jemanden, der „ziemlich unkäuflich“ wäre in seiner Kritik an Kapitalismus, Hunger und Elend und begann gegenüber „Lafo“ fleißig Rhetorik-Punkte zu sammeln. Er kam auf 15 Mal Szenenapplaus, Lafontaine, mit den schwerfälligeren Pointen, auf vier. Ob nun der eine, oder der andere sprach, die Positionen waren austauschbar, in den Träumen war man sich nah. Lafontaine kritisierte den Sprachgebrauch, der in der Politik gängig ist. „Schwachsinnsworte“ wie Eigenverantwortung und Ich-AG zeigten, wie arm die Gesellschaft an Mitmenschlichkeit geworden sei. Für ein Volk der „Dichter und Denker“ wäre das geradezu entsetzlich. Die „sogenannte Reformpolitik“, der „neoliberale Mainstream“ stand bei beiden am Pranger. Gysi erntet vom eher bejahrten Publikum Zustimmung, weil er den „Altersrassismus“ kritisiert, heute würden ältere Menschen nur noch als Belastung empfunden. Lafontaine entblößt das Unwort „Lohnnebenkosten“ als „Falschwort“, weil es richtig übersetzt „Geld für Kranke, Rentner, Arbeitslose und Pflegebedürftige“ heißen müsste. „Schon kommen Menschen ins Spiel.“ Gysi propagierte seine utopische Idee der Wertschöpfungsabgabe, die Betriebe anstatt der Lohnnebenkosten in Abhängigkeit von ihrer Leistungsfähigkeit zu zahlen hätten. Lafontaine träumte den Traum der Umverteilung. Das Volkseingaben wäre letztes Jahr um 50 Mrd. Euro gewachsen. Da wäre es „erkenntnisblind“, wenn alle behaupteten, es gäbe nichts mehr zu verteilen. Da horchte Gysi auf. „Das kannst Du alles in meinem neuen Buch nachlesen“, erklärte ihm Lafontaine. Zwei Stunden freundliche Gedanken zu sozialer Gerechtigkeit und der Notwendigkeit von Ideen und Vorstellungen, nach denen man sich ausrichten könne, die in der heutigen, zum Verwechseln ähnlichen Parteipolitik aber gänzlich fehlten. Wie auch immer, es war fast wie damals, vor dem Rücktritt. Nur befand man sich auf einer Theaterbühne, auf der im Spiel alle Träume im Nu wahr werden können. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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