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Kultur: In der arche: „Die Mörder sind unter uns“

„Wir sind hier, um unsere Meinung zu sagen“, sagte ein hochrangiger ehemaliger Stasioffizier, der mit 200 Gleichgesinnten im März 2006 zu einer Bürgerversammlung des Bezirkes Berlin-Lichtenberg gekommen war. Dr.

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„Wir sind hier, um unsere Meinung zu sagen“, sagte ein hochrangiger ehemaliger Stasioffizier, der mit 200 Gleichgesinnten im März 2006 zu einer Bürgerversammlung des Bezirkes Berlin-Lichtenberg gekommen war. Dr. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, gehörte damals zum Gesprächspodium und erfuhr nun aus erster Quelle, wie die ehemaligen Täter im Jahre 16 der Wiedervereinigung sich lauthals darüber beschwerten, dass die Mitarbeiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, ausschließlich ehemalige Opfer, die Beamten der Staatssicherheit „als Täter deklarierten“. Der ehemalige Oberstleutnant Wolfgang Schmidt hatte für derartige „Verleumdungen“ nur größte Verachtung, denn „Hohenschönhausen war eine gute Adresse, Häftlinge der ganzen DDR hätten sich darum beworben, wegen der guten Haftbedingungen“.

Was hier wie ein nettes Dreisterne-Hotel beschrieben wird, war das Gefängnis der Staatssicherheit. Der Auftritt der Stasioffiziere wurde für den Historiker Hubertus Knabe zum Anlass, sein Buch „Die Mörder sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur“ (Popyläen 2007) zu schreiben, das er in der überfüllten „arche“ vorstellte. Mehr als 270 000 hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter – mehr als die Bundeswehr heute Soldaten hat – besaß der Staatssicherheitsdienst im Herbst 1989. Sie alle leben heute unbehelligt in der Bundesrepublik Deutschland. Vorrangig in ihren ursprünglichen Quartieren. Während ihre Renten der Bundesrepublik jährlich 1,5 Milliarden Euro kosten, bemühen sich die Opfer der SED-Diktatur, monatliche Zusatzrenten von 250 Euro für eine mindestens sechsmonatige Haft zu erstreiten. Initiativgruppen versuchen „Kader des Regimes am Ende ihres Lebens mit üppigen Renten zu belohnen“, die viermal höher liegen als die Renten ehemaliger Normal-DDR-Bürger.

Auf Internetplattformen werden Uraltsymbole und Verherrlichungsparolen verbreitet, die in Ungarn, Tschechien und Polen verboten seien, sagte Hubertus Knabe. „Die Wiedervereinigung brachte den Tätern der SED-Diktatur die Sicherheiten des bundesdeutschen Rechtsstaates. Im Einigungsvertrag tauchte die Bestrafung der Täter nicht auf. Die Bundesrepublik verzichtete 1990 darauf, eine übergeordnete Ermittlungsbehörde einzurichten, wie sie für NS-Täter in Ludwigsburg existiert.“ 1992 wurde aus Kostengründen die Erfassungsstelle Salzgitter aufgelöst und die Vorermittlungsakten an die ostdeutschen Bundesländer abgetreten. Erst nach 1992 richteten Staatsanwaltschaften Schwerpunktabteilungen ein, die sich mit dem DDR-Unrecht befassen. Der Zeitverlust geriet zur Amnestie. 700 Anwälte im vereinten Deutschland wären ehemalige Offiziere der Staatssicherheit oder inoffizielle Mitarbeiter gewesen. „So wundert es nicht, dass für 1000 Tote an den innerdeutschen Grenzen, 20 000 politische Häftlinge, 42 000 politisch motivierte Gewalttaten bisher nur 19 Verantwortliche ins Gefängnis kamen. Längst sind alle Täter wieder auf freiem Fuß.“

Welche Möglichkeiten und Strategien es dennoch gäbe, wurde von den betroffenen Zuhörern gefragt. Die Verherrlichungen sollten mit strafrechtlichen Mitteln angeprangert und verfolgt werden. Auch Initiativgruppen beginnen sich augenblicklich zu formieren. Umfassende Aufklärungsarbeiten wären notwendig, da eine schleichende Unkenntnis die Verharmlosung förderte, was von der Linkspartei wahltaktisch genutzt wird. Bemerkenswert sei es, dass von den 100 000 Besuchern der Gedenkstätte Hohenschönhausen die überwiegende Mehrheit aus den alten Bundesländern käme, so Knabe.Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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