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Kultur: In der Oberliga der Saitenstars

Viktoria Mullova ist heute gemeinsam mit dem Kammerorchester Il Giardino Armonico im Nikolaisaal zu erleben

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Viktoria Mullova ist heute gemeinsam mit dem Kammerorchester Il Giardino Armonico im Nikolaisaal zu erleben Von Sonja Lenz Sanssouci, ja, davon hat sie gehört. Gern würde Viktoria Mullova durch den Schlosspark schlendern, aber die Zeit wird wohl zu knapp. Heute gibt sie ihr Potsdam-Debüt im Nikolaisaal, und morgen sitzt sie schon wieder im Flugzeug. Schließlich ist die Geigenvirtuosin zwischen London, Rom, New York und Tokio gefragt. In der Reihe „Stars international“ spielt sie mit dem Kammerorchester Il Giardino Armonico. Wenn Viktoria Mullova von den Italienern spricht, gerät die sonst so zurückhaltende Künstlerin ins Schwärmen: „Ein großartiges Ensemble. Ich habe lange davon geträumt, mit ihnen zusammenzuarbeiten. In diesem Jahr geben wir viele gemeinsame Konzerte, und im nächsten Jahr nehmen wir eine CD auf.“ Viktoria Mullova spielt heute das a-moll-Konzert von Johann Sebastian Bach und das D-Dur-Konzert von Antonio Vivaldi. Daneben stehen Werke von Händel, Sammartini und Locatelli auf dem Programm. Mit ihrer stupenden Technik, musikalischen Intelligenz und Stilsicherheit hält sie sich seit zwei Jahrzehnten in der Oberliga der Saitenstars. Ebenso lange haftet der rationalen, disziplinierten Künstlerin das Etikett der „spröden, kühlen Schönheit“ an. Mit ihrem Spiel sucht sie die Werktreue, die interpretatorische Tiefe, nicht den äußerlichen Glanz. Die Geigerin verabscheut falsche Sentimentalität und aufgesetzte Showeffekte. Mit sinnlichem Schmelz geht sie sparsam um. Das Klischee der „russischen Seele“ liegt ihr fern. Viktoria Mullova war nie die rückenfrei posierende Glamourkünstlerin wie ihre Kollegin Anne-Sophie Mutter. Auf der Bühne verzichtet sie auf jede unnötige Bewegung. Es ist ihr einfach egal, wie sie wirkt. Sie vergisst ihre Umwelt, wenn sie sich in die musikalischen Welten von Bach, Beethoven, Brahms oder Berg vertieft. Es ist einzig und allein die Musik, die zählt. Viktoria Mullova und die Geige – das war keine Liebe auf den ersten Blick. „Meine Eltern wollten, dass ich ein Instrument lerne, aber wir waren eine große Familie, und ein Klavier hätte nicht in die kleine Wohnung gepasst. Deshalb fiel die Entscheidung für die Geige“, erinnert sich die Musikerin. Damals war sie fünf Jahre alt. Bereits drei Jahre später besuchte sie die Zentrale Musikschule in Moskau. Das bedeutete jeden Tag eine Hin- und Rückfahrt von je zwei Stunden. In der Bahn hat sie ihre Hausaufgaben erledigt. Ihr Kinderleben zwischen Geige und Schule hat sie als Drill empfunden. Doch sie übte mit zähem Fleiß, lernte schnell – und erkannte allmählich, dass sie besser spielte als andere, dass die Geige sie zu etwas Besonderem machte. Von da an lernte sie, ihr Instrument zu lieben. Am Moskauer Konservatorium studierte sie bei dem legendären Leonid Kogan. Er zählte neben Jascha Heifetz zu ihren Idolen. Von seinen Platten hörte sie sich seinen analytischen, objektivierenden Stil ab. Von seinem Unterricht war sie dagegen weniger begeistert: „Von Kogans Assistenten habe ich mehr gelernt.“ Viktoria, die Siegerin: Mit fünfzehn gewann sie den Wienanwski-Wettbewerb in Poznan, zwei Jahre später den Sibelius-Wettbewerb in Helsinki. Die Goldmedaillie im Tschaikowsky-Wettbewerb 1982 bescherte ihr internationale Aufmerksamkeit. Die 23-Jährige war bereit für die große, weltweite Karriere – doch die staatliche Konzertagentur schickte sie auf eine Ochsentour durch Gewerkschafts- und Kulturhäuser in Sibirien. Als sie eine Ausreisegenehmigung zu einem Konzert in Finnland bekam, nutzte sie die Chance und floh in die Vereinigten Staaten. Ihren Geigenbogen nahm sie mit, um wenigstens etwas Vertrautes im Gepäck zu haben. Ihre Stradivari, eine sowjetische Leihgabe, ließ sie im Hotelzimmer zurück. Was dann? Ein entbehrungsreicher Neuanfang in einem neuen Land, mit einer neuen Sprache, ohne Freunde und Verwandte? „Nein, so schwer war es nicht“, meint Viktoria Mullova. „ Ich habe schnell einen Agenten und eine Plattenfirma gefunden.“ Tatsächlich – schon ein Jahr nach ihrer Flucht arbeitete sie mit Dirigenten wie Seiji Ozawa, Riccardo Muti und Lorin Maazel zusammen. Claudio Abbado wurde – auch privat – für ein paar Jahre ihr ständiger Begleiter. Seitdem reist die Virtuosin rund um die Welt, mit großen Orchestern, ihrem Mullova-Ensemble oder ausgewählten Kammermusikpartnern. Längst hat sie eine eigene Stradivari. Im Moment beschäftigt sie sich besonders intensiv mit Barockmusik. Ihr musikalisches Herz schlägt aber ebenso für das klassisch-romantische Repertoire und für die Neue Musik. Für junge englische Komponisten setzt sie sich gern ein. Vor drei Jahren hat sie Jazz- und Popsongs aufgenommen. Das soll ein Ausflug in eine andere Welt bleiben. Dabei hört sie zu Hause besonders gern Weltmusik. Zu Hause – wo ist das für eine Frau, die zwischen den Konzertsälen und Hotels in der ganzen Welt unterwegs ist und nebenbei drei Kinder großzieht? Nach Moskau fliegt sie alle zwei Jahre, um Verwandte und Freunde zu besuchen. In den USA und Wien hat sie vergeblich versucht, sich niederzulassen. „In London habe ich ein Haus“, meint Viktoria Mullova. „Dort kann ich lesen, mit den Kindern spielen, ein ganz normales Leben führen. Da bin ich endlich daheim.“ Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Str.10/11, 20 Uhr, Kartentel.: 2888828, 8-32 Euro

Sonja Lenz

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