Kultur: In der Urania: Das Phänomen von 1968
Der eine konstatiert in seinem Land um 1968 eine „Fortschrittseuphorie“, auch der andere hält es für „die letzte optimistische Zeit“. In der Urania diskutieren die in der DDR bzw.
Stand:
Der eine konstatiert in seinem Land um 1968 eine „Fortschrittseuphorie“, auch der andere hält es für „die letzte optimistische Zeit“. In der Urania diskutieren die in der DDR bzw. in der Bundesrepublik aufgewachsenen Publizisten Stefan Wolle und Reinhard Mohr über das Phänomen „1968“. So unterschiedlich ihre Erlebnisse im Einzelnen auch ausfallen, herrschte Einigkeit darüber, dass die Zuspitzung auf 68 „unhistorisch“ ist, es sei bloß eine „Chiffre“.
Moderiert wurde die Veranstaltung vom Verleger Christoph Links, der Stefan Wolles Buch herausgebracht hat. Angesichts des mit zwölf Zuhörern recht spärlichen Interesses verhehlten die Gäste nicht eine gewisse Verwunderung. Auf der Leipziger Buchmesse hätten sie in vollen Sälen diskutiert.
Die Titel beider Bücher reflektieren die unterschiedlichen Betrachtungsweisen beider Autoren. Der 1955 geborene und in Westdeutschland aufgewachsene Reinhard Mohr beschreibt in „Der diskrete Charme der Rebellion“ ein „Leben mit den 68zigern“. Der Titel des 1950 in Halle geborenen Stefan Wolle „Der Traum von der Revolte. Die DDR 1968“ klingt recht dramatisch. Beide Autoren erklärten, dass es im Gegensatz zur DDR in der Nachkriegs-BRD viele Nazis in hohen Posten bei Justiz, Polizei und in der Medizin gegeben habe. Wie zur Bestätigung offenbarten beide Autoren die politische Einstellung ihrer Väter. Während Stefan Wolle aus einem kommunistischen Elternhaus stammte, bekannte sich der Vater von Reinhard Mohr nach jahrelangem Schweigen kurz vor seinem Tod zur Mitgliedschaft in der NSDAP.
Trotz dieser Problematik setzt Mohr in der Diskussion auf eine locker-flockige Darstellung. Wie der Buchtitel in Anspielung auf einen Film von Luis Bunuel verrät, geht es um die attraktiven Seiten, um den Spaß, den es damals gegeben habe, auch wenn es eigentlich eine „spießige Zeit“ gewesen sei. In kabarettistischen Jargon prahlt auch der Untertitel: „Partisan und Parmesan, wo sind sie geblieben/ Partisan und Parmesan, alles wird zerrieben.“ Bereits im Sommer 1968 sei aus dieser „positiven Bewegung“ die Luft raus gewesen. Auf die Zersplitterung in viele kleine Gruppen wie die K-Gruppen, „Umherschweifende Haschrebellen“, folgte die Radikalisierung in Teilen davon. Auch Wolle erzählte von positiver Stimmung in der DDR, wo Ulbricht Wirtschaftsreformen verkündete, viele an eine Reform des Sozialismus glaubten. Die Invasion der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Pakts am 21. August markierte das Ende dieses Traums. Ähnlich wie die Aufstände im Westen wurde auch der Prager Frühling von einer Revolte der Studenten ausgelöst, wie Stefan Wolle erzählte. Nachdem wieder einmal in einem Studentenheim das Licht ausgefallen war, gingen die Studenten mit Kerzen herum und forderten „Mehr Licht“. Auf diesen „frommen“ Wunsch reagierte die Obrigkeit sofort, denn „es gab im Osten nichts, was nicht politisch war“ und schickte die Polizei.
Aufbruchstimmung herrschte in beiden deutschen Staaten. Zur durchaus schwärmerischen Sicht der Autoren trägt sicher bei, dass sie während der 68iger Jahre ihre Jugendzeit erlebten. Was danach politisch und gesellschaftlich folgte, ist bekannt. Nach zunehmender Verhärtung und Radikalisierung in beiden Staaten bekannte sich der Westen in den achtziger Jahren zur Spaßkultur. In der DDR schoben die Menschen eine friedliche Revolution zur Wiedervereinigung an. Spannender als der leicht verklärte Blick auf die 68er Zeit wäre inzwischen die Betrachtung dieser so unterschiedlichen Phänomene. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: