Kultur: In entrückten Landschaften
„NaturLich FotoGrafie“ von Claudia Constanze Lorenz und Leo Seidel in der Galerie Kunst-Kontor
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Es sind befremdliche Wesen, in die sich Claudia Constanze Lorenz auf ihren Porträtaufnahmen verwandelt. Mal hat sie ihr Gesicht mit Prachtspiere, mal mit den Blütenständen der Edelkastanie verziert. Wie mit einem Kleidungsstück geht Claudia Constanze Lorenz mit diesen Pflanzen um. Dann wieder scheint sie wie auf dem Bild mit dem reifen Löwenzahn, den sogenannten Pusteblumen, darin förmlich einzutauchen wie in ein Schaumbad. Und je länger man sich diese Fabelfantasiewesen anschaut, umso klarer wird dem Betrachter, dass Claudia Constanze Lorenz dieses Befremden durch den Effekt einer Selbstverständlichkeit erzielt.
„NaturLich FotoGrafie“ ist der Titel der Ausstellung in der Galerie Kunst-Kontor, in der die Arbeiten der Potsdamerin Claudia Constanze Lorenz zusammen mit Fotografien des Berliners Leo Seidel zu sehen sind. Zwei Künstler mit ganz unterschiedlicher Handschrift, die jedoch die Lust am Entdecken in der Natur verbindet.
Es ist, als würde Claudia Constanze Lorenz mit ihren Bildern etwas in einem wachrufen. Eine vage Erinnerung an etwas, das sehr weit zurückliegt. Vielleicht noch weiter als die eigenen Erfahrungen. Die Erinnerung an die Selbstverständlichkeit der tiefen Verbundenheit von Natur und Mensch, die uns heute oft so stark abhanden gekommen ist. Diese Entfremdung löst Claudia Constanze Lorenz durch das Betrachten ihrer fantasievollen und so märchenhaft-inszenierten, mal freundlichen, mal bedrohlichen Porträts wieder auf. Gleichzeitig entführt sie den Betrachter in eine Welt voller Mythen. In eine Welt von Sagen und Geschichten, in denen Waldgeister und andere Wesen selbstverständlich sind und in denen sich deutlich die tiefe Verbundenheit von Mensch und Natur spiegelt.
Auch Leo Seidel hat sich in der Natur auf Entdeckungen begeben. Doch wo Claudia Constanze Lorenz die Natur Brandenburgs für einen Teil ihrer Motive auswählte, war Seidel im Dezember und Januar auf Mallorca unterwegs. Dort hat er Jahrhunderte alte Olivenbäume fotografiert und sie so zu Wesen wie aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit werden lassen. Neben ein paar Farbfotografien sind es vor allem die Schwarz-Weiß-Aufnahmen dieser wie verknotet wirkenden Bäume, von denen ein ganz besonderer Zauber ausgeht. Seidel, der sich einen Namen als Landschafts- und Architekturfotograf gemacht und Bildbände über Dorfkirchen und Schlösser in Brandenburg veröffentlicht hat, arbeitet viel mit einer Plattenkamera und Polaroids, deren Verfallsdatum oft schon um Jahre überschritten ist. Dadurch entsteht oft ein Effekt, der Seidels Bilder wirken lässt, als hätten sie viele Jahre vergessen in einem Keller oder auf einem Dachboden gelagert.
Für die Reihe mit den Olivenbäumen hat Leo Seidel sich zuerst einmal die Landschaft erwandert. Er hat die Bäume aus den unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, aus der Entfernung und aus der Nähe. Und zu den unterschiedlichsten Tageszeiten. „Er hat diese Bäume regelrecht belauert“, sagt Friederike Sehmsdorf, Inhaberin der Galerie Kunst-Kontor. Die Aufnahmen hat er dann meist in den Abendstunden gemacht. In den Momenten, wenn die Sonne im Meer verschwindet und die Landschaft in einem ganz besonderen Licht erscheint. „Entrückte Landschaften“, so Friederike Sehmsdorf. Doch es ist nicht allein die Inszenierung von Licht und Schatten, die den Arbeiten von Seidel einen besonderen Effekt geben. Seidel hat sich mit dem Olivenbaum Natur ausgewählt, die ganz stark mit der antiken, christlichen und islamischen Mythologie verbunden ist. Und so scheint es, als würden sich in diesen knotigen Bäumen all die Geschichten und Mythen von Jahrhunderten und Jahrtausenden finden.
Mit vier Bildern lädt Seidel dann noch in seine „Wunderkammer“. Klar inszenierte Szenen wie die Porträts von Claudia Constanze Lorenz. Seidel hat beliebige Gegenstände genommen, wie eine alte Schreibmaschinen, einen ausgestopften Vogel, eine Puppe und ein altes Manuskript. Er hat diese Gegenstände zu humorvoll-absurden Szenen arrangiert und nur ganz sparsam mit dem Licht von Taschenlampen beleuchtet. Entrückte Szenen, denen immer auch etwas Albtraumhaftes anhaftet.
Auch der Reihe „Landschaften“ von Claudia Constanze Lorenz wohnt gelegentlich etwas Albtraumhaftes inne, das sich aber erst auf den zweiten Blick erschließt. Zuerst einmal sind da gespiegelte Landschaften zu sehen, die anfangs leicht verwirren. Doch tritt man näher und nähert sich der Schnittstelle, an der sich die Landschaften zu spiegeln beginnen, sind Muster zu erkennen, die an mikroskopische Strukturen und an Details von Insekten, an das Skulpturhafte von Totempfählen oder Gesichtern erinnern. Und je länger man hinschaut, umso wahrscheinlicher wird es, dass Claudia Constanze Lorenz mit dieser Spiegelungstechnik eine Art Tür geöffnet hat, aus der für den Moment die sonst unsichtbaren Naturfabelfantasiewesen sichtbar werden.
„NaturLich FotoGrafie“ mit den 31 Aufnahmen von Claudia Constanze Lorenz und Leo Seidel wird so für den Betrachter selbst zu einer Entdeckungsreise voller Assoziationen und Überraschungen. Eine fotografische Entdeckungsreise, die in dieser schlichten und gleichzeitig fein-subtilen Konzeption wie im Kunst-Kontor nur selten zu erleben ist.
Die Ausstellung „NaturLich FotoGrafie“ ist noch bis zum 20. Oktober in der Galerie Kunst-Kontor, Bertiniweg 1A, montags, mittwochs und donnerstags, 15-19 Uhr, und samstags, 15-18 Uhr, geöffnet
Dirk Becker
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