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Zeit zum Durchatmen. Olga Maslo lädt mit ihrer Ausstellung zum Innehalten ein. Auf ihrem jüngstes Werk Sans titre brodelt es indes gewaltig.

© Andreas Klaer

Von Heidi Jäger: In fließendem Blau

Die Malerin Olga Maslo lädt mit ihrer Ausstellung an ungewöhnlichem Ort zum „Durchatmen“ ein

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Im Fahrstuhl klebt ein Einladungskärtchen mit der Aufschrift „Durchatmen“. Es weist den Weg zu einer Ausstellung in der 7. Etage. Doch wer in die Atmosphäre des Klinikums eintaucht, neben sich Patienten im Rollstuhl und mit Schläuchen, dem stockt eher der Atem. Und nun „Durchatmen“, noch dazu im Lungenzentrum? Das klingt nach schwarzem Humor. Die Malerin Olga Maslo weist diese Vermutung weit von sich. Sie assoziierte mit dem Titel ihrer Ausstellung im Klinikum eher ein Innehalten. Ein sich selbst befragen in einer Welt, in der alles ständig schneller, höher, weiter gehen soll und noch größere Katastrophen die Folge sind. Sie dachte während der Vorbereitung ihrer Ausstellung an die Patienten, warum sie vielleicht auf dieser Station liegen, keine Luft mehr bekommen, nicht durchatmen können. „Das kann auch an einem inneren Eingesperrtsein liegen“, mutmaßt die Malerin. Deshalb beförderte sie aus ihrem reichen Bilderfundus viele Werke mit der Farbe Blau zutage, die Entspannung bringen und damit vielleicht auch die Heilung fördern könnten. Blau ist die Farbe des Himmels und die des Meeres, zu dem sich Olga Maslo so hingezogen fühlt. Über ihre Bilder ergießen sich die verschiedensten Blautöne, die dem Alltagsgrau ihre Leuchtkraft entgegen halten. Auch bizarre schwarze Fischgräten sind beim genauen Hinsehen zu entdecken, die in kraftvollen Siebdrucken auf runde Formen stoßen.

Die Malerin Olga Maslo ist keine freimütige „Erzählerin“, die ihre Gedanken so einfach preisgibt. Ihre Botschaften wollen entschlüsselt sein und bringen dabei jedem Betrachter andere Wahrheiten. Als sie von einer Patientin beim Aufbau der Ausstellung gefragt wurde, was sie denn da gemalt habe, antwortete Olga Maslo freundlich: „Das werde ich Ihnen nicht sagen. Sonst können Sie es ja nicht selbst entdecken.“ Dann gelangten beide in eine Bildbetrachtung und die Patientin meinte am Ende bereichert: „Das war schön, dass wir darüber gesprochen haben.“

Auch Olga Maslo freut sich über solche Begegnungen. Überhaupt ist sie froh, an diesem Ort ausstellen zu können, auch wenn das für Außenstehende merkwürdig erscheinen mag. Sie war hier bereits zu Ausstellungseröffnungen von Künstlerkollegen wie Chris Hinze, Mona Höke, Astrid Germo, Frank Gaudlitz und Bernd Chmura, die auf Betreiben des Oberarztes und bildhauernden Hobbykünstlers Hans-Georg Gnauck die Wände „bespielen“ durften. Wände, die viel Raum lassen. „Selten hat man in einer Galerie so viel Fläche“, betont Olga Maslo. Und gekauft wird auch. In jedem Fall vom veranstaltenden Verein Med Art, der immer ein Werk des jeweils ausstellenden Künstlers für die Station erwirbt, wie den seine Arme beschützend ausbreitenden Bronze-Engel von Chris Hinze, der die Patienten willkommen heißt.

In den vergangenen Jahren ist es recht ruhig um Olga Maslo in der Potsdamer Ausstellungsszene geworden. „Das hat mit meiner privaten Situation zu tun“, sagt die im saloppen Schwarz gekleidete 49-Jährige, die mit ihren 15-Jährigen Zwillingen als alleinerziehende Mutter natürlich gefordert ist und zum Geldverdienen als Restauratorin arbeitet. Aber auch die immer wieder wegbrechende Ateliersituation erschwerte ihr ein kontinuierliches Malen. Erst wurde das Atelierhaus in der Seestraße abgerissen, dann das in der Puschkinallee geschlossen. Danach zog Olga Maslo mit ihren Malutensilien in die Charlottenstraße und stand nach dem Verkauf des Hauses wieder vor dem Nichts. Also räumte sie zu Hause eine Ecke frei. „Aber kleine Wohnung, kleine Formate.“

Im Moment ist Olga Maslo froh, dass sie das Atelier von Chris Hinze im Kunsthaus „Sans titre“ für eine gewisse Zeit nutzen kann. Da hat sie Platz und den lange vermissten künstlerischen Austausch. „Sans titre“ heißt auch ihre jüngste Arbeit, die großflächig die Farben aufeinanderprallen lässt: ein fließendes Blau auf einen monströs wirkenden schwarzen Körper, der einen an den Atomreaktor Fukushima erinnern lässt.

Olga Maslos Arbeiten lassen die Gedanken kreisen und immer wieder in einer anderen Mitte landen. Wie auch in ihrem Bild „Jäger und Gejagte“, das gleich neben dem Bronzeengel wandeinnehmend einen Rausch in Blau verströmt. Hundert Mal hat sie die Worte „Jäger und Gejagte“ auf die farbige Leinwand geschrieben – auf dem Kopf. Ganz fein spinnt sich ein weißes Dreieck, aus Kreide gemalt, über die blaue Fläche. Ein schützendes Zelt? Ein dünner Faden, an dem alles hängt? Auch hier ist Olga Maslo dem Gehetztsein auf der Spur, das kaum Zeit zum Durchatmen lässt.

Trotz des eigenen Getriebenseins scheint die Malerin immer mehr bei sich anzukommen. Ihr aggressiver schroffer Strich, mit dem die ehemalige Schülerin des kraftstrotzenden expressiven Cottbuser Malers Hans Scheuerecker vor über 30 Jahren zu malen begann, ist ruhiger, entspannter geworden, irgendwie auch weiblicher. „Mit zunehmendem Alter werde ich ausgeglichener. Auch die Liebe zu den Kindern bewirkt viel. Aber zu seiner Wahrhaftigkeit zu finden, ist ein langer Weg.“ Vis-à-vis vom Fahrstuhl hängen zwei scheinbar identische Arbeiten nebeneinander. Im Hintergrund ist ein Foto der Malerin zu sehen, als sie schwanger war. Darüber malte sie rote Kreise, wie Wirbelwinde, die den gewölbten Bauch fast verdecken. Eine Liebeserklärung an ihre beiden Söhne.

Von diesen Arbeiten hat sie sich natürlich nicht getrennt, obwohl sie gern Dinge, die ihr wichtig sind, an die ihr liebsten Menschen verschenkt. Auch die kantigen Porträts des Schauspielers Christian Kuchenbuch und des Multikünstlers K.C. Wedemeyer, die sie an ihr Punkzeit erinnern, blieben bei ihre und führen jetzt in der Ausstellung ein Stück weit ihres Weges zurück. Wie auch ihr Lieblingsblatt über das Holländische Viertel, in dem sie mit Unterbrechung inzwischen 30 Jahre lebt. Keck und mutig ragen die roten Dächer wie Blitze in die Höhe.

Olga Maslo ist bei sich geblieben, rennt keinem Trend nach. Und sie hat auch andere Kunstformen für sich entdeckt. Derzeit ist ein Buch in 12 Fassungen in Vorbereitung, an dem sie gemeinsam mit teils befreundeten Künstlern arbeitet, die in aller Welt verstreut sind. Ein Drittel der Seiten möchte sie mit ihren eigenen Gedanken, Gedichten und Bildern füllen, zwei Drittel stehen den Partnern zur Verfügung. „Es soll ein sehr persönliches Buch werden, gerade weil vieles so austauschbar geworden ist und an der Oberfläche plätschert.“ Warum knüpft sie dieses Netz bis in die USA, nach Afrika und Japan? „Weil ich so ewig nicht raus kam. Wenn man immer funktionieren muss, ist es schwieriger, sich auf den Weg zu machen.“

Sicher wird in diesem Buch ihr ewiges Thema Flucht und Vertreibung eine Rolle spielen, das jetzt in der Ausstellung nicht zu Worte kommt. „Mein Vater ist heute 75 Jahre und bis heute ist es ein nicht zu verwindendes Trauma, dass er nach dem Krieg mit seiner Mutter und den fünf Geschwistern aus Tschechien fliehen musste. Und wie vielen Menschen sind immer wieder auf der Flucht?“ Olga Maslo wird nachdenklich. In ihrem Bild „Jäger und Gejagte“ erzählt sie vielleicht auch von so einem Sehnsuchtsort: Der den auf dem Meer Treibenden ein Dach über den Kopf geben will. Aber dieses Dach ist nicht mehr als ein seidener Faden.

Zu sehen bis 1. Mai im Hauptgebäude des Klinikums, Charlottenstraße 72, Ebene 7, Gefäß- und Lungenzentrum

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